Bildung 13.10.05
Einsatz und Nutzen des "GBM-Verfahrens" in der Förderpraxis von Menschen mit schwersten und mehrfachen Behinderungen
Wer nicht weiß,
wohin er segeln will,
für den ist kein Weg der Richtige.
(Seneca)

Werkstattleistungen wissenschaftlich begründen und praktisch verbessern

Im Jahr 2001 wurde das "GBM-Verfahren" auch in den diakonischen Mühltal-Werkstätten eingeführt. Es ist ein EDV-gestütztes Instrumentarium zum Qualitätsmanagement bei der "Gestaltung der Betreuung von Menschen mit Behinderungen". Es wurde vom Münchener Professor Dr. Werner Haisch entwickelt. In der Bundesrepublik wird es vor allem von evangelischen Einrichtungen angewandt. In der Schweiz wurde es von den Regierungen etlicher Kantone für die staatlichen Einrichtungen verpflichtend. Dieses Verfahren zur Planung und Organisation von Teilhabeleistungen ist für alle Lebensbereiche geeignet: Arbeit, Wohnen und Förderung. Der Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe empfiehlt es seinen Mitgliedseinrichtungen.

Die Einführung eines solchen wissenschaftlich gestützten Verfahrens für Werkstattleistungen ist ein anspruchsvoller und tiefgehender Eingriff in die alltäglichen Arbeitsabläufe. Soll es nachhaltig wirken, setzt es für alle Werkstattfachleute eine gemeinsame theoretische Grundlage voraus. Das ist das heilpädagogische Konzept "Modell der Lebensformen" von Werner Haisch. Der Umsetzungspraxis dient die "Methodik und Technik der Bedarfs- und Aufwandsberechnung".

Das "Modell der Lebensformen" unterscheidet acht "Lebensformen": Pflege/Selbstpflege, Selbstbewegung, Betätigung, Gewohnheit, Gestaltung, Ausdruck, Vorstellung und Mitteilung. Mit Hilfe eines eigens für das GBM-Verfahrens entwickelten Fragebogens (FIL) wird auf breiter Basis der Bedarf des betreffenden Menschen ermittelt. Die durch die Bedarfserhebung erzielten Ergebnisse lassen bereits eine qualifizierte Hilfeplanung zu. Das Fundament dafür bilden ethische und pädagogische Grundsätze wie

  • Menschen mit Behinderung werden nicht als Mängelwesen betrachtet,

  • jede Lebensform (s. o.) hat ihren Wert in sich selbst,

  • entscheidend ist der persönliche Bedarf des Menschen, an dem sich die Leistungsangebote orientieren.

Für die Werkstätten mit ihrem charakteristischen Schwerpunkt "Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung durch angepaßte Arbeit" ist eine Theorie "Modell für die Arbeit" unverzichtbar. Die Arbeitsorganisation verlangt nach Teamwork: "Beratung im Team".

Für die Einführung in der Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD) mußten folgende Dinge geklärt werden:
  • Einsetzen einer Projektsteuerungsgruppe

    Wesentlicher Bestandteil des Einführungsprozesses war das Einsetzen der Projektsteuerungsgruppe, in der aus jeder Funktion (Bereichsleitung, Werkstattleitung, Sozialdienst, Gruppenleitung) mindestens eine Person benannt wurde. Das Gremium hat gemeinsam mit der Projektleitung (GBM-Gesamtplanung) die Aufgabe, die Prozeße, Abläufe, Schulungen und Vorgaben an die konkreten Abläufe und Erfordernisse der Werkstätten anzupassen.

  • Welche Schulungen sind für die Mitarbeiter erforderlich?

    Das theoretische Konzept und vertiefendes Wissen wurde in allen Hierarchieebenen geschult. Zunächst wurden die Werkstattleitungen geschult und beraten, die anschließend die Zielsetzung und den Rahmen für die Einführung definierten. Die Sozialdienste fungieren als Beratungen für die Teams und wurden als Berater ausgebildet. Für die Mitarbeiter in den Betreuungsteams wurden speziell zugeschnittene Schulungen in neun Tagen (Pädagogische Grundlagen, Grundlagen der Arbeitsorganisation und interne Verfahrensanweisungen zu den Prozeßen) verteilt auf zwei Jahre angeboten.

  • Wie sehen Standards für die Erhebung des FIL aus?

    Es mußte geklärt werden, wie die Themen "Arbeitssicherheit", "Prävention", "Pausen" "Umgang mit Medikation" und einige weitere spezifische Inhalte der Nieder-Ramstädter Diakonie in den Standardfragebogen integriert werden.

  • Wie sieht der Ablauf der Betreuungsplanung aus?

    In Abstimmung mit dem Leitbild und dem in der Institution vorhandenen Grundverständnis von Assistenz und Selbstbestimmung wurden konkrete Prozeßbeschreibungen und Formulare entwickelt, die in das vorhandene QM-System integriert wurden.

  • Welche Rolle übernimmt die Leitung?

    In unserer Prozeßbeschreibung übernimmt die Leitung eine aktive Rolle, d. h. sie gibt die Betreuungsplanungen für die Umsetzung frei. Dies soll den betreuenden Mitarbeitern Sicherheit hinsichtlich des eigenen Arbeitspensums geben, aber auch Kontrolle über Planung und Umsetzung darstellen.

  • Wie kann der Beschäftigte mit seiner Meinung integriert werden?

    Der Beschäftigte spielt bei der Betreuungsplanung die wesentliche Rolle. Er wird im Vorfeld durch einen speziell in der NRD entwickelten Fragebogen zu seinen Wünschen und Bedarfen befragt. Es ist bei den Besprechungen anwesend und bei der Festschreibung der Maßnahmen maßgeblich beteiligt.

  • Wie kann die Rolle des gesetzlichen Betreuers aussehen?

    Jeder gesetzliche Betreuer wird in der NRD standardmäßig zu den Betreuungsplanungsgesprächen eingeladen und hat so die Möglichkeit, sich am Betreuungsplanungprozeß zu beteiligen.

  • Wie werden die betreuerischen Maßnahmen festgeschrieben und dokumentiert?

    Im GBM werden die geplanten Maßnahmen im "verantworteten Standard" so konkret beschrieben, daß genau nachvollziehbar ist, was, wann und wie zu tun ist. Wichtig ist es hier nur, Maßnahmen zu beschreiben, die an den Ressourcen orientiert, im normalen Tages- oder Jahresablauf immer stattfinden können. Die konkrete Planung der Maßnahmen findet in Beschreibungen zum Tagesablauf und in Wochenplänen statt. Für die Dokumentation haben wir ein einfaches Monatsformular entwickelt.

  • Welche Standards können/müssen für die Arbeitsorganisation der Betreuungsteams beschrieben werden?

    Wir bevorzugen klare Aufgabenzuweisungen. So wurde das Bezugssystem definiert und eingeführt. Alle weiteren Aufgaben beschreiben und delegieren die Teams nach den Rahmenvorgaben der Leitung zunächst selbst. Die Freigabe für die Umsetzung erfolgt durch die Leitung.

In der NRD hat die Projektsteuerungsgruppe in intensiver Rückkopplung mit den Mitarbeitern und mit Hilfe von Pilotgruppen ein "GBM-Handbuch" entwickelt, das alle Vorgaben, Abläufe und Prozesse verbindlich beschreibt und Handlungssicherheit für die Beteiligten mit dem System gibt. Durch angepaßte Schulungen wurden den Fachkräften sowohl die Grundprinzipien des Verfahrens, als auch die geltenden Standards in den Mühltalwerkstätten vermittelt.

Welcher Nutzen kann sowohl für die Fachkräfte als auch die Beschäftigten erkannt werden?

Wir stellen fest, daß innerhalb unserer Werkstätten zunehmend eine gemeinsame "Sprache" im Rahmen der Betreuung gefunden wird. In der Nieder-Ramstädter Diakonie wird auch in den Lebensbereichen Wohnen und Tagesstätte mit GBM gearbeitet; die Vorteile sowohl eines gleichen Grundkonzeptes als auch der damit verbundenen "gemeinsamen Sprache" in der Zusammenarbeit der Lebens- / Betreuungsbereiche sind deutlich spürbar. "Das Modell der Lebensformen" ist für uns das geeignete fachliche Konzept, das fließende Übergänge zwischen allen Betreuungsformen ermöglicht. Die hausinterne Differenzierung des Fragebogens FIL ermöglicht es uns, mit einem Verfahren von der Aufnahmeanfrage über die Eingliederungsplanung bis zur kontinuierlichen Betreuungsplanung zu gehen.

Die Konzeption der Angebote und Unterstützungsleistungen richtet sich nach der Bedarfserhebung und wird aufgrund eines gemeinsamen fachlichen Konzeptes personen- und bedarfsorientiert gestaltet.

Aktuell befaßt sich die Projektsteuerungsgruppe mit der "Fachlichen Bildung" im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der arbeitsbegleitenden Maßnahmen in der Werkstatt.

Der Nutzen für die Werkstattbeschäftigten ist vielfältig. Wichtig ist zum einen die konsequente am Bedarf der Person orientierte Betreuungsplanung und die grundsätzliche Beteiligung des Beschäftigten bei der Festlegung der Betreuungsleistungen.

Ein besonderer Vorteil für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen ist sicherlich die breite Bedarfserhebung mit dem FIL, der sich sowohl auf die Bereiche "Arbeit" und "Fachliche Bildung" bezieht und sehr differenziert die Bereiche "Pflege", "Hygiene", "Bewegung", "Beschäftigung" und "Beratung" betrachtet. Diese breite Sicht eröffnet Wege, auch Personen mit stärkeren Einschränkungen angemessene Angebote zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Werkstatt zu unterbreiten. Die Ganzheitlichkeit und Individualität der Person wird durch das GBM-Verfahren deutlich in den Vordergrund gestellt

Siegfried Hennrich, Werkstattleitung Nieder-Ramstädter Diakonie
Silke Frietsch, GBM-Gesamtplanung


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