Panorama 06.02.10
Verdienstorden für Werkstatträtin
„Nett“ und „brav“ - Das sind zwei Worte, die Marianne Münz wütend machen. Denn mit diesen zwei Worten schiebt man elegant Menschen beiseite, mit denen man nicht auf Augenhöhe diskutieren will. Aber Marianne Münz ist eine Kämpferin und das seit 55 Jahren. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie spricht schwer verständlich. Sie kann nur mit einer Hand die Tastatur des Computers bedienen. Sie hat erst mit 22 Jahren lesen und schreiben gelernt. Aber Beiseiteschieben und mundtot machen - das lässt sich die Vorsitzende des Gesamtwerkstattrates der Diakonie Werkstätten kreuznacher diakonie längst nicht mehr.

Auch deshalb hat sie nun den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz bekommen. Seit mehr als zwanzig Jahren kämpft Marianne Münz für die Rechte auf Mitsprache und Mitbestimmung der Werkstattbeschäftigten in den Diakonie Werkstätten Bad Kreuznach. Sie ist Mitbegründerin einer der ersten Werkstatträte in Deutschland. Sie ist eine Pionierin und sie macht Gewerkschaftsarbeit dort, wo Gewerkschaften außen vor bleiben.

Sie arbeitet im Behindertenbeirat der Stadt Bad Kreuznach mit und engagiert sich auf Bundesebene im Bundesverband evangelische Behindertenhilfe. Sie fährt zu Tagungen, hält Vorträge und bereitet Kongresse mit vor.

Marianne Münz kann zwar nur mit Unterstützung eigenständig arbeiten, aber selbstständig denken. „Ich will kein Theater“, sagt sie. „Ich will keine netten Worte, die helfen nicht.“ Sie will arbeiten können, sie will Mitsprache, sie will Gleichberechtigung. Sie will Hilfe. Sie will nicht bitten müssen. Sie will Rechte. Dafür kämpft sie schon ein Leben lang.

Marianne Münz hat eine Cerebralparese. Sie wuchs auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf bei Limburg an der Lahn auf. Ihre Eltern versuchten das Mädchen zu behüten - wollten es nicht weggeben. Und so besuchte das Kind nie eine Schule. „Ich konnte weder lesen noch schreiben.“ Erst durch viele Zufälle und mit viel Glück und einer gehörigen Portion Ehrgeiz und Mut durfte Marianne Münz mit 22 Jahren zur Schule gehen, machte ihren Hauptschulabschluss und wollte eigentlich nie in einer Werkstatt arbeiten. Sie bewarb sich immer wieder auf Bürojobs.

Unterdessen besuchte sie aber denn doch Diakonie Werkstätten. Dann meldeten sie die Mitarbeiter dort für ein Arbeitstraining an - dann gab es plötzlich Computer und Marianne Münz wusste, was sie wollte: einen Computer-Arbeitsplatz.

In der Werkstattleitung kam aber auch ein Prozess in Gang, der diese Einrichtung zu einer der wegweisenden Einrichtungen in Sachen Mitspracherechte für behinderte Menschen gemacht hat. Marianne Münz und ihre Kollegen haben auch mit Unterstützung der Diakonie Werkstätten Mitsprache erkämpft. Haben die erste Assistenzstelle für einen Werkstattrat in Deutschland erstritten. Haben sich ein gutes Stück aus der Bittsteller-Rolle befreit.

Gerade ist die 55-Jährige wieder zur Vorsitzenden des Gesamtwerkstattrates der Diakonie Werkstätten Bad Kreuznach gewählt worden und bekam den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz. Das macht sie und auch ihre beiden Schwestern stolz, die sie nach Mainz zur Ehrung begleitet haben. Aber Marianne Münz weiß: „Ich muss mich immer wieder melden, um am Ball zu bleiben. Ich bin immer wieder in einer Bittsteller-Rolle. Ich will, dass die Arbeit des Werkstattrates genau denselben Stellenwert in der Werkstatt bekommt wie etwa eine Qualitätssicherung.“ Dafür will „Frau Münz“ - wie man sie nun nennt - weiter kämpfen.

Ihr größter Wunsch, damit sie noch unabhängiger, eigenständiger arbeiten kann: „Mehr Assistenz!“ Denn noch ist die bundesweit einmalige Stelle nur eine halbe. Und das behindert Marianne Münz und ihre Kollegen auf dem Weg zur Selbstständigkeit.

Mit freundlicher Genehmigung von dpa mit Unterstützung durch Keyvan Dahesch, Publizist und Freier Journalist


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