Diesen Artikel an Freunde versenden
Email des Empfängers:
Email des Senders:
Name des Senders:

Pfennigparade München soll dramatisch Personal abbauen
Pfennigparade München
Bundesweit bietet die Spezialwerkstatt Teilhabemöglichkeiten
Nach Ablauf der Leistungsvereinbarung wurde der Pfennigparade nun vom Bezrik Oberbayern mitgeteilt, sie müsse ein Viertel der Vollzeitstellen beim Fach- und Betreuungspersonal abbauen. Diese Stellen hätten bislang zu einer „Überversorgung“ der schwer körperbehinderten Werkstattbeschäftigten geführt. Im übrigen könne man darüber reden, allerdings sei die Entscheidung „nicht verhandelbar“.

Zur Erinnerung: Bei der Eröffnung der diesjährigen Werkstätten:Messe hatte die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer gesagt, eine Einschränkung der Leistungen der Eingliederungshilfe sei „nicht beabsichtigt“. Der Bezirk Oberbayern begründet jedenfalls die Absenkung mit „gestiegenem Kostendruck aufgrund geringerer Steuereinnahmen“.

„Bayern wird auch weiterhin ein bedarfsgrechtes Angebot an Werkstattplätzen vorhalten“, sagte Haderthauer bei der Werkstätten:Messe. Nur, wer ermittelt den Bedarf? Bzw. wer legt ihn fest? Der Bezirk Oberbayern hat den Hilfebedarf (nach dem Metzlerverfahren) von 25 Werkstattbeschäftigten (von 400!) geprüft und das Ergebnis hochgerechnet. Dies führte zu dem reduzierten Personalschlüssel. Dr. Jochen Walter, Vorstand der Pfennigparade, hält diese Ermittlung des Hilfebedarfs für „fachlich äußerst fragwürdig“ und die Hochrechnung für „methodisch nicht zulässig“, zumal die 25 Beschäftigten nicht statistisch repräsentativ ausgewählt worden sind. Außerdem werde das Verfahren zur Hilfebedarfsermittlung nur in ganz wenigen Regelwerkstätten in Oberbayern angewendet, die anderen Bezirke lehnten es ab. Die Pfennigparade ist jedoch keine Regelwerkstatt. Ihr Auftrag ist es, mit bundesweitem Einzugsgebiet Teilhabemöglichkeit für schwer körperbehinderte und schädelhirnverletzte Menschen bereit zu stellen.

Auch die Süddeutsche Zeitung hat das Problem aufgegriffen. Am Montag schrieb sie u. a.: „Nach den Plänen des Bezirks sollen zum 1. Juli und zum 1. Oktober jeweils sieben Stellen wegfallen, im nächsten Jahr zum 1. April dann noch einmal sechs Stellen. Die Pfennigparade habe ‚zweifellos gute Arbeit’ geleistet, aber es gebe in München auch eine vergleichbare Einrichtung, die mit weniger Personal anerkannt gute Arbeit leiste. Es sei nicht mehr alles finanzierbar, bedauert die Bezirkssprecherin. Dennoch sei man zu Verhandlungen bereit - allerdings nicht über die grundsätzliche Richtung, sondern nur über Details.“ Die Zeitung läßt Alexander Junge, der eine starke Spastik hat, zu Wort kommen: „Bei den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft, die sich am wenigsten dagegen wehren können, kann doch nicht das eingespart werden, was Investmentbanker vermasselt haben.“ Und Esther Hoffmann fragt, wie das alles zu den Versprechungen des bayerischen Ministerpräsidenten passt, dass es auch bei knappen Kassen keine unsozialen Einschnitte geben werde. Allen Politikern wünscht sie trotzdem, dass sie niemals in die Lage geraten, nachvollziehen zu müssen, wie das ist, ständig in der Warteschleife zu stehen und auf Hilfe angewiesen zu sein“, ob bei den Mahlzeiten oder beim Gang auf die Toilette.

Offensichtlich seien „Behinderte nicht systemrelevant“. Die Süddeutsche fragt: „Die Schwerstbehinderten, so heißt es, seien bislang überversorgt gewesen. Das klingt, als seien sie verwöhnt worden, als würde ständig eine Pflegekraft hinter ihnen stehen und fragen: Was kann ich für Sie tun? Die Realität sieht anders aus, Werkstattbeschäftigte mussten schon unter den heutigen Bedingungen mit Engpässen leben.“

Jochen Walter warnt vor den dramatischen Folgen für die Beschäftigten, sollte es zu dieser – gesetzeswidrigen – Kürzung kommen.
  • Die notwendige Grundpflege könnte nicht mehr gewährleistet werden und es käme zu gefährlichen Situationen für Beatmete und Epileptiker, wenn der Gruppenleiter abwesend ist, da er wegen der dünnen Personaldecke häufig Toilettengänge machen müsste.
  • Die arbeitsbezogene Förderung wäre stark eingeschränkt, so dass Arbeitsaufträge von Firmen wegbrechen würden und die berufliche Rehabilitation der reinen Versorgung weichen müsste.
  • Auch dringend notwendige Maßnahmen zur Dekubitusporphylaxe wie z.B. regelmäßige Toilettengänge, Hautpflege und Einlagenwechsel könnten nicht im notwendigen Umfang geleistet werden, so dass vermehrt Dekubitusfälle auftreten würden.
Aus Sicht der Pfennigparade ist durch diese geplante drastische Verringerung des Personals eine erfolgreiche berufliche Rehabilitation von schwer körperbehinderten Menschen kaum noch möglich.

Das Vorgehen des Bezirks, die Vergütungssätze einseitig festzusetzen und dann auch noch derart drastisch abzusenken, ist neu. Walter befürchtet, dass es sich hier um eine neue Politik bzw. um eine neue Qualität in der Zusammenarbeit mit den Trägern der Eingliederungshilfe handelt, um möglichst rasch Kosten zu senken.

Sowohl die Pfennigparade als auch viele der Werkstattbeschäftigten werden voraussichtlich Rechtsmittel einlegen, da mit einer Absenkung der Fachkräftezahl eine Betreuung und Pflege nicht mehr zu gewährleisten ist. Jedoch dauern derartige Verfahren vor den entsprechenden Sozialgerichten erfahrungsgemäß bis zu zwei Jahre. „Es kann nicht sein, dass entgegen allen Beteuerungen des bayerischen Ministerpräsidenten und der zuständigen Sozialministerin gerade die schwer- und schwerstbehinderten Menschen die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise tragen sollen“, schließt Jochen Walter.


<< Zurück Seite drucken Diesen Artikel per Email versenden