Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat den Schutz behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen gestärkt. In der am 31. Januar veröffentlichten Entscheidung bestätigte der BGH die Verurteilung eines 49-Jährigen zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzenzgeld wegen der Vergewaltigung einer Rollstuhlfahrerin. Der Täter hatte die gehbehinderte junge Frau über einen Zeitraum von drei Jahren mehrfach zum Sex gezwungen.
Juristisch ging es um die Frage, ob das „Ausnutzen einer schutzlosen Lage“ straferschwerend zu berücksichtigen sei. Der BGH bejahte dies: Wer dies tue, müsse mit einer höheren Strafe rechnen. Der BGH verwarf damit die Revision des Mannes, der im Juni 2010 vom Landgericht Landshut verurteilt worden war. Die Karlsruher Richter hoben hervor, dass die Ausnutzung der schutzlosen Lage und der Tatbestand der sexuellen Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gleichrangig schulderhöhend und damit straferschwerend nebeneinander zu berücksichtigen sind.
Ausdrücklich trat der Bundesgerichtshof damit dem Standpunkt des Verteidigers entgegen, dass neben der Drohung nicht noch das Ausnutzen der Schutzlosigkeit straferschwerend berücksichtigt werden dürfe. Eine solche Rechtsauslegung, so die Richter des BGH, könne „zu untragbaren Strafbarkeitslücken führen und wäre mit der vom Gesetzgeber gewollten Verbesserung des Schutzes von Menschen mit Behinderung vor erzwungenen sexuellen Übergriffen nicht zu vereinbaren“.
Der Angeklagte hatte die gelähmte Frau mehrfach vergewaltigt und in weiteren Fällen vom Opfer gegen dessen Willen sexuelle Handlungen an sich vornehmen lassen. Der Frau hatte er jeweils gedroht, deren Mutter umzubringen, wenn sie nicht mitmache oder ihn verrate. Gezielt machte sich der Angeklagte die schutzlose Lage seines Opfers zu Nutze. Die junge Frau leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen Lähmung beider Beine und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Auch kann sie eine Hand nicht bewegen. Sie konnte sich so der Übergriffe des Angeklagten weder ernsthaft erwehren noch sich entfernen, zumal der Angeklagte die Taten bewusst an Orten ausgeführt hat, an denen Hilfe für die junge Frau nicht erreichbar war.
(Aktenzeichen 1 StR 580/10)