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In den Schlagzeilen: Aus welchem Etat wird Altersvorsorge von Werkstattbeschäftigten finanziert?
„Von der Leyen will nicht mehr für Behinderte zahlen“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Montag, 23. Mai 2011. Damit wird eine „Neuregelung“ zu den Rentenversicherungsbeiträgen für Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen überschrieben. Der entsprechende Referentenentwurf soll am Mittwoch, den 25. Mai im Kabinett verabschiedet werden.
Wirklich neu ist die Regelung allerdings nicht. Seit 2008 hat der Bund verfügt, dass die für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich der Werkstätten zuständigen Rehabilitationsträger – also die beitragsfinanzierten Sozialversicherungsträger - die Kosten tragen. Das sind vor allem:
- die Bundesagentur für Arbeit und
- die Rentenversicherung,
- aber auch die Kriegsopferfürsorge, sowie die Unfallversicherung.
Bemerkenswert ist, dass diese seit 2008 geltende neue Praxis durch die aktuelle Gesetzesänderung bis zu diesem Zeitpunkt nachträglich „legalisiert“ werden soll. Das hat Konsequenzen für die Sozialkassen, die ab jetzt nicht nur jährliche Kosten von 155 Millionen Euro aufbringen müssen, sondern auch die in den letzten drei Jahren verausgabten mehr als 500 Millionen Euro nicht wieder erhalten. Sie hatten damit gerechnet, bis zu einer endgültigen Klärung nur in Vorlage getreten zu sein und haben diesen Betrag in ihren Haushalten bereits anders verplant.
Jetzt meldet sich der Vorstand der Deutschen Rentenversicherung zu Wort. Er sorgt sich, wie die F.A.Z. schreibt, „dass die vollen Rentenkassen den Bund dazu verleiten könnten, zur Lösung seiner Haushaltsprobleme auf die Beitragszahler zurückzugreifen“. Der Vorstand der Rentenversicherung möchte erstreiten, dass diese soziale Leistung wie in den 30 Jahren zuvor als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuergeldern also vom Bund finanziert werden solle.
Zum Hintergrund:
Behinderte Menschen in Werkstätten erhalten nur ein geringes Arbeitsentgelt, so dass sie daraus keine (relevanten) Beiträge zur Altersversorgung zahlen können. Diese werden daher von staatlicher Seite übernommen. Damit sind die Beschäftigten im Alter abgesichert und können ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Leben sie im Wohnheim, geben sie ihre komplette Rente zur Finanzierung des Wohnheimplatzes ab. Somit muss der Staat für diesen Personenkreis im Alter weniger Kosten tragen.
Der Bund teilt sich bis jetzt – wenn auch zu ungleichen Teilen – mit den Rehabilitationsträgern – die Kosten zur Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge – zumindest für die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen. Bis 2008 hatte er auch die Beiträge für die Beschäftigten in der Ausbildungsphase übernommen, die ein Ausbildungsgeld (Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich) erhalten. Da das Gesetz jedoch nur von denen spricht, die „Arbeitsentgelt“ beziehen, sah sich das Bundesversicherungsamt und danach das Bundesarbeits- und Sozialministerium im Recht, als es 2007 das Gesetz „neu“ las und die finanzielle Verantwortung für die Ausbildungsgeldbezieher nicht mehr übernahm.
Die Arbeitsverwaltung wurde angewiesen, die Beitragszahlung zu übernehmen, die Rentenversicherung hat sich – der Einheitlichkeit wegen – angeschlossen. Bereits damals hatte sich die Arbeitsverwaltung dagegen gewandt, geklagt und schließlich Recht bekommen. Als Reaktion darauf erfolgt nun die rückwirkende Gesetzesänderung.
Zur aktuellen Diskussion:
Dass Werkstattbeschäftigte in Deutschland in das System der Sozialversicherung eingebunden sind, ist nahezu so alt wie die Werkstätten selbst – rund 36 Jahre. Das umfasst seit 1975 auch die Rentenversicherung und die Übernahme der Beiträge von der Solidargemeinschaft:
- durch Steuermittel des Bundes und
- durch die Beiträge der Gemeinschaft der Sozialversicherten.
Beides ist gut zu begründen. Nicht aus dem Blick geraten darf bei der vordergründigen Etatdiskussion die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die der deutsche Staat - insbesondere nach den Verbrechen des Nationalsozialismus an behinderten Menschen - für behinderte Menschen übernommen hat. Nicht aus dem Blick geraten darf ebenfalls der arbeitnehmerähnliche Rechtsstatus der Werkstattbeschäftigten. Der Anspruch auf Beiträge der Gemeinschaft der Sozialversicherung lässt sich aus dem arbeitnehmerähnlichen Rechtsstatus der Beschäftigten herleiten – auch dann, wenn sie selbst keine Beiträge leisten.
Für Günter Mosen, den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft, ist es unbestritten, "dass sich weder die Sozialversicherung, noch die Arbeitsverwaltung oder andere staatliche Organe aus dieser Verpflichtung entziehen dürfen. Wie tragfähig der gesellschaftliche Zusammenhalt ist, zeigt sich darin, wie die Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht".
Ob das Verfahren, einer rückwirkenden Gesetzesänderung glücklich ist - ob es angezeigt ist, die Kosten für Arbeit durch Beitragsfinanzierung oder den Steuerzahler insgesamt zu belasten - und ob bei derzeit sprudelnden Staatseinnahmen eine derartige Novelle umgesetzt werden sollte – sollte volkswirtschaftlich diskutiert werden. Unglücklich, so Mosen, sei auf alle Fälle eine zu kurz greifende, zu stark vereinfachende Diskussion, die das eigentliche Ziel der Leistungen nicht mehr erkennen lässt: Die Teilhabe behinderter Menschen.
Wirklich neu ist die Regelung allerdings nicht. Seit 2008 hat der Bund verfügt, dass die für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich der Werkstätten zuständigen Rehabilitationsträger – also die beitragsfinanzierten Sozialversicherungsträger - die Kosten tragen. Das sind vor allem:
- die Bundesagentur für Arbeit und
- die Rentenversicherung,
- aber auch die Kriegsopferfürsorge, sowie die Unfallversicherung.
Bemerkenswert ist, dass diese seit 2008 geltende neue Praxis durch die aktuelle Gesetzesänderung bis zu diesem Zeitpunkt nachträglich „legalisiert“ werden soll. Das hat Konsequenzen für die Sozialkassen, die ab jetzt nicht nur jährliche Kosten von 155 Millionen Euro aufbringen müssen, sondern auch die in den letzten drei Jahren verausgabten mehr als 500 Millionen Euro nicht wieder erhalten. Sie hatten damit gerechnet, bis zu einer endgültigen Klärung nur in Vorlage getreten zu sein und haben diesen Betrag in ihren Haushalten bereits anders verplant.
Jetzt meldet sich der Vorstand der Deutschen Rentenversicherung zu Wort. Er sorgt sich, wie die F.A.Z. schreibt, „dass die vollen Rentenkassen den Bund dazu verleiten könnten, zur Lösung seiner Haushaltsprobleme auf die Beitragszahler zurückzugreifen“. Der Vorstand der Rentenversicherung möchte erstreiten, dass diese soziale Leistung wie in den 30 Jahren zuvor als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuergeldern also vom Bund finanziert werden solle.
Zum Hintergrund:
Behinderte Menschen in Werkstätten erhalten nur ein geringes Arbeitsentgelt, so dass sie daraus keine (relevanten) Beiträge zur Altersversorgung zahlen können. Diese werden daher von staatlicher Seite übernommen. Damit sind die Beschäftigten im Alter abgesichert und können ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Leben sie im Wohnheim, geben sie ihre komplette Rente zur Finanzierung des Wohnheimplatzes ab. Somit muss der Staat für diesen Personenkreis im Alter weniger Kosten tragen.
Der Bund teilt sich bis jetzt – wenn auch zu ungleichen Teilen – mit den Rehabilitationsträgern – die Kosten zur Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge – zumindest für die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen. Bis 2008 hatte er auch die Beiträge für die Beschäftigten in der Ausbildungsphase übernommen, die ein Ausbildungsgeld (Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich) erhalten. Da das Gesetz jedoch nur von denen spricht, die „Arbeitsentgelt“ beziehen, sah sich das Bundesversicherungsamt und danach das Bundesarbeits- und Sozialministerium im Recht, als es 2007 das Gesetz „neu“ las und die finanzielle Verantwortung für die Ausbildungsgeldbezieher nicht mehr übernahm.
Die Arbeitsverwaltung wurde angewiesen, die Beitragszahlung zu übernehmen, die Rentenversicherung hat sich – der Einheitlichkeit wegen – angeschlossen. Bereits damals hatte sich die Arbeitsverwaltung dagegen gewandt, geklagt und schließlich Recht bekommen. Als Reaktion darauf erfolgt nun die rückwirkende Gesetzesänderung.
Zur aktuellen Diskussion:
Dass Werkstattbeschäftigte in Deutschland in das System der Sozialversicherung eingebunden sind, ist nahezu so alt wie die Werkstätten selbst – rund 36 Jahre. Das umfasst seit 1975 auch die Rentenversicherung und die Übernahme der Beiträge von der Solidargemeinschaft:
- durch Steuermittel des Bundes und
- durch die Beiträge der Gemeinschaft der Sozialversicherten.
Beides ist gut zu begründen. Nicht aus dem Blick geraten darf bei der vordergründigen Etatdiskussion die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die der deutsche Staat - insbesondere nach den Verbrechen des Nationalsozialismus an behinderten Menschen - für behinderte Menschen übernommen hat. Nicht aus dem Blick geraten darf ebenfalls der arbeitnehmerähnliche Rechtsstatus der Werkstattbeschäftigten. Der Anspruch auf Beiträge der Gemeinschaft der Sozialversicherung lässt sich aus dem arbeitnehmerähnlichen Rechtsstatus der Beschäftigten herleiten – auch dann, wenn sie selbst keine Beiträge leisten.
Für Günter Mosen, den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft, ist es unbestritten, "dass sich weder die Sozialversicherung, noch die Arbeitsverwaltung oder andere staatliche Organe aus dieser Verpflichtung entziehen dürfen. Wie tragfähig der gesellschaftliche Zusammenhalt ist, zeigt sich darin, wie die Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht".
Ob das Verfahren, einer rückwirkenden Gesetzesänderung glücklich ist - ob es angezeigt ist, die Kosten für Arbeit durch Beitragsfinanzierung oder den Steuerzahler insgesamt zu belasten - und ob bei derzeit sprudelnden Staatseinnahmen eine derartige Novelle umgesetzt werden sollte – sollte volkswirtschaftlich diskutiert werden. Unglücklich, so Mosen, sei auf alle Fälle eine zu kurz greifende, zu stark vereinfachende Diskussion, die das eigentliche Ziel der Leistungen nicht mehr erkennen lässt: Die Teilhabe behinderter Menschen.