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Aufzunehmende Personenkreise in die Werkstatt
Position der BAG WfbM auf Grundlage des § 2 SGB IX

Die Werkstattpopulation verändert sich. Noch ist der Anteil derjenigen am größten, der aus mentalen oder kognitiven Gründen auf Werkstattleistungen angewiesen ist. Doch bestätigen zahlreiche Werkstattträger folgende Trends:

  • daß die Zahl von Menschen mit besonderen psychischen Eigenschaften zunimmt;

  • in den Werkstätten wächst die Quote derer, die man als „schwerstbehindert“ oder „mehrfachbehindert“ bezeichnet;

  • gleichzeitig wird die Grauzone zwischen den nur noch in Deutschland unterschiedenen Menschen mit „geistigen Behinderungen“ und „Lernbehinderungen“ immer breiter. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben kaum noch Erwerbschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Personengruppen mit Anspruch auf einen Werkstattplatz sind seit 1974 vom Deutschen Bundestag in seinem Beschluß über die „Grundsätze zur Konzeption der Werkstatt für Behinderte“ beschrieben: Es sind diejenigen Menschen mit körperlichen, psychischen, mentalen oder kognitiven Besonderheiten, „die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keinen Arbeitsplatz finden können“. Seit dieser Zeit kennen wir die noch etwas genauere Beschreibung im jeweils geltenden Recht über die anspruchsberechtigten Personengruppen.

Das sind die, „die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können“.

In den §§ 136, 137 SGB IX sind die Personenkreise mit Anspruch auf einen Werkstattplatz beschrieben. Die entscheidenden Charakterisierungen liegen in:

  • Art oder Schwere der Behinderung – und sind unabhängig von der Behinderungsform selbst;

  • Nicht, noch nicht, noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können;

  • der Zugangsbedingung für die Erreichbarkeit eines „Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeit;

  • unabhängig von einem besonderen Bedarf an begleitender Betreuung und Pflege.

Demgegenüber stehen für die Zielgruppenbeschreibung im Arbeitsbereich der Werkstatt die Voraussetzungen, wie sie in der Eingliederungshilfeverordnung noch immer festgelegt sind und als solche nicht im Einklang mit dem SGB IX fortgeschrieben wurden - eine grundsätzliche Abweichung in der Herangehensweise der Festlegung; hier geht es nicht um „Auswirkung“ der Behinderung, sondern um „innere und äußere Merkmale“ der Behinderung, die sich eingrenzen auf:

  • körperlich wesentlich Einschränkungen,

  • wesentliche Sinneseinschränkungen,

  • wesentliche geistige Einschränkungen,

  • Wesentliche seelische Einschränkungen,

  • Außerdem: Krankheitsbilder aus dem Sucht- und Neurosenbereich.

Wo finden Sie hier den „Menschen mit autistischen Erscheinungsformen“? Diese Personengruppe ist längst eine bedeutende Gruppe für das Angebot von Teilhabeleistungen in der Werkstatt. (Formal gehören diese Personen zu den geistig behinderten Menschen; diese Zuordnung ist fachlich nicht gelungen und u. E. nicht korrekt.)

Wo finden Sie die Menschen mit Epilepsie-Syndromen oder mit Schädel-Hirn-Traumen? In beiden Gruppen nehmen die Menschen zu, die ihre Integrationschance in der Werkstatt sehen. Im Einzelfall erhalten sie vom Kostenträger die gewünschte Eingliederungshilfe.

Und wie sind Menschen mit Lernbehinderungen zu sehen, deren Teilhabe in einigen Teilbereichen des Lebens real „behindert“ ist – so die Teilhabe am Arbeitsleben, für die sie ebenso einen sich fortschreibenden Eingliederungsplan benötigen wie Menschen mit anderen Behinderungsformen. Der Gesetzgeber hat durch die Erweiterung des SGB III erstmals sogenannten „lernbehinderten“ Menschen den Zugang zur Werkstatt ermöglicht: in das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich. Mit der Verordnungsermächtigung im § 60 SGB XII und der Eingliederungshilfeverordnung hat er ihnen aber den Zugang zum Arbeitsbereich der Werkstatt verwehrt.

Wir meinen: Sie steht längst im Widerspruch zur Realität, zum Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes und zu den gesetzlichen Bestimmungen im SGB IX. Das definiert den Personenkreis für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie folgt:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“

Und noch eine Gruppe drängt stärker in den Werkstattbereich: Wir nennen sie „Menschen mit Kompetenzminderung“ (wesentliche Einschränkung der sozialen, persönlichen und allgemeinbildenden Kompetenzen). Fälschlicherweise und unter inflationärer Verwendung des Behinderungsbegriffes werden diese Menschen auch als „sozial behindert“ bezeichnet - keine hinreichende Beschreibung der doch sehr heterogenen Personen, die damit gemeint sind. Wir lehnen diese Bezeichnung daher ab!

Was unter „Behinderung“ gemeint ist, finden wir besser als früher im oben benannten § 2 Satz 1 SGB IX, und noch präziser in der neuen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation:

Unter „Behinderung“ wird die Einschränkung der gesellschaftlichen Teilhabe und sozialen Einbeziehung verstanden, sofern sie einerseits aus Abweichungen am Körperbau resultiert, auf Unterschiede in den normalen Lebensvorgängen zurückzuführen ist und in den Funktionen des menschlichen Organismus begründet liegt. Daraus entstehen Abweichungen und Auffälligkeiten im konventionellen Verhalten und in den Denkweisen des Individuums, die so ungewöhnlich erscheinen, daß sie ausgrenzend wirken.

Aber nicht alle ausgrenzend wirkenden Auffälligkeiten sind deshalb „Behinderungen“. Es müssen biologische (medizinische), psychische und psychologische und soziale Bedingungen und Wirkungen eintreten. Andererseits sind nicht alle sogenannten Behinderungen mit ausgrenzend wirkenden Auffälligkeiten und fehlenden oder unzulänglichen persönlichen, fachlichen oder sozialen Kompetenzen verbunden.

Eine differenzierte Betrachtung führt zwangsläufig zu den beiden banalen Schlußfolgerungen, daß es in allen bisher genannten Bevölkerungsgruppen Menschen gibt, für die die Werkstätten genau der richtige Weg ins gesellschaftliche und Arbeitsleben ist und solche, für die Werkstätten gerade nicht die geeigneten Einrichtungen sind. Ebenso banal ist die Schlußfolgerung, daß es auf beide Seiten ankommt − den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen einerseits und die sich anbietende Einrichtung mit ihrem speziellen Auftrag, ihrer besonderen Ausprägung und ihrem Leistungskatalog andererseits.

Dazu das Votum der BAG WfbM:

Die Werkstätten müssen allen Personen offen stehen, die aus körperlichen, psychischen, mentalen und kognitiven Gründen keinen Zugang in die Erwerbswirtschaft oder deren Zwischenformen wie z.B. Integrationsprojekte bekommen. Allerdings nur denen unter ihnen, für die die Werkstätten die geeignete Einrichtung zur Arbeits , Berufs und Persönlichkeitsförderung ist. Nicht für diejenigen, die unter geschützten oder angepaßten erwerbswirtschaftlichen Bedingungen teil oder vollzeitig beschäftigt werden können. Können sie erwerbstätig sein, sind die Integrationsprojekte, wie sie im § 132 SGB IX beschrieben werden, die bessere Lösung.

Damit ist auch der Maßstab benannt, der zukunftsweisend anzuwenden ist, damit Teilhabeansprüche des SGB IX wirksam werden können für alle, denen sie zustehen: die individuelle Prüfung (die immer auch und fortlaufend für alle Menschen gilt, die im Arbeitsbereich der Werkstatt ihre Teilhabeleistungen erhalten).

Auszug aus den Vorträgen von A. Lohs und U. Scheibner im April und März 2005 (Lübeck und Mainz)



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