Bildung 02.11.05
Das verlängerte Dach der Werkstätten und die interne Tagesstruktur - Berlin und Brandenburg schränken Wahlmöglichkeiten ein
Zur Beurteilung der Situation in Berlin und Brandenburg ist ein Rückblick in die Vergangenheit hilfreich: In Brandenburg sowie im ehemaligen Ostteil Berlins gab es, bis auf wenige kirchliche Einrichtungen, kaum Förderstätten für schwerst-mehrfach behinderte Menschen. Die Unterbringung erfolgte oft in Kliniken und Altersheimen. Im Westteil Berlins konzentrierte sich dieses Arbeitsfeld auf Jugendwerkheime, die in bezirklicher Verantwortung lagen. Diese wurden 1995/96 an bestehende Werkstätten als Förder- und Beschäftigungsbereiche unter dem Dach der WfbM (FBB) angegliedert. In Berlin und Brandenburg galt der Grundsatz, „unterhalb der FBB gibt es kein weiteres Versorgungsangebot für diesen Personenkreis“.

Eine Leistungsbeschreibung wurde entwickelt und in beschränktem Umfang wurden investive Mittel bereitgestellt, um die dafür erforderlichen Kapazitäten zu schaffen. In Berlin ist außerdem bis heute auch der Fachausschuß für den FBB und damit auch für den Personenkreis mit schwerst-mehrfach behinderten Menschen mit zuständig.

Der Bedarf stieg weiter, die Finanzmittel wurden und werden knapper, die Aufnahmekapazitäten sind weitestgehend erschöpft. In den Wohnbereichen entwickelte sich - mit Wissen der zuständigen Stellen – ebenfalls ein Angebot der internen Tagesstruktur, und zwar unterhalb der Standards im FBB. Diese Entwicklung wird toleriert. Dies führt in Berlin dazu, daß es inzwischen neben den 1.000 Plätzen im FBB auch fast ebenso viele Plätze in den Wohnbereichen mit einer internen Tagesstruktur gibt.

Die Berliner Senatsverwaltung gab am 30.08.2002 ein Rundschreiben zu „Kostenübernahmen bei Neuantragstellungen“ heraus. Ich zitiere: „Im Falle von Neuantragstellungen von Heimbewohnern mit interner Tagesstruktur wird die externe Tagesstruktur in einem FBB versagt.“

In Brandenburg ging man inzwischen sogar so weit, langjährigen Beschäftigten den FBB-Platz zu kündigen. Auf Verbands- und LAG-Ebene brachten wir wenigstens die Diskussion in Gang, über eine Leistungsbeschreibung zur internen Tagesstruktur zu sprechen. Gemeinsames Ziel ist es, auch für diesen Leistungsbereich fachliche Mindestanforderungen zu fixieren. Bei diesem Entwicklungsprozeß wird deutlich, wie leicht bewährte Eingliederungshilfeleistungen auf Grund der komplizierten Haushaltslage ausgedünnt werden können. Doch es gibt unverrückbare und durch das Grundgesetz gesicherte Ziele:

  • Die Eingliederungshilfe für schwerst- und mehrfach behinderte Menschen muß gesichert bleiben.
  • Die berufliche Rehabilitation durch die Teilhabe an Arbeit ist ein Grundziel unserer Leistung.
  • Den gesellschaftlichen Teilhabeanspruch nach dem Prinzip des zweiten Lebensraumes gilt es zu sichern.
  • Neben der finanziellen Absicherung des täglichen Betriebes gilt es auf Grund der steigenden Fallzahlen auch wieder investive Mittel bereit zu stellen.

Mit großem Interesse sollten wir die durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge angestoßene Diskussion für ein Bundesteilhabegeld verfolgen. Die fünf in den „Kontaktgesprächen“ arbeitenden Verbände positionierten sich in Grundsatzüberlegungen dazu, wie die Eingliederungshilfe über das schon lange diskutierte Leistungsgesetz auf breitere Grundlagen gestellt werden kann. In diesen Grundsatzüberlegungen wird deutlich, daß die Eingliederungshilfe in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung liegen muß. Sie ist in erster Linie als verfassungsrechtlicher Nachteilsausgleich und nicht als Fürsorgeanspruch einzuordnen.

Sieht man die Entwicklung in Berlin und Brandenburg unter diesem Focus, so wird deutlich, daß der weitere Ausbau der internen Tagesstruktur in Wohnstätten ohne die Bestimmung von Qualitätskriterien dieser Zielrichtung entgegensteht.

Die fachliche Diskussion zur Schaffung differenzierter Leistungsangebote für schwerst-mehrfach behinderte Menschen ist dringend geboten, damit ein Rückfall auf das Versorgungsniveau der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vermieden wird.

Michael Unger, Geschäftsführer Diakonie-Werkstätten Berlin gGmbH



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