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Aufnahme von Menschen mit schwersten Behinderungen in die WfbM - Modell in Niederbayern
Menschen mit schwersten Behinderungen haben einen Hilfebedarf, der unter den „üblichen“ Rahmenbedingungen, wie sie in den Werkstätten entwickelt wurden, nicht gedeckt werden kann. Für sie wurde schon vor vielen Jahren begonnen, das für den Hilfebedarf notwendige Angebot in der den Werkstätten in der Regel „angegliederten“ Förderstätte (auch Tagesförderstätte genannt) bereitzustellen. Schwerstbehinderte Menschen wurden dadurch der Förderstätte zugeordnet und damit dem Personenkreis des § 136 Abs. 3. Ein Zugang zur anerkannten Werkstatt wird nicht vorgesehen. Wie Übergangsmöglichkeiten für den Personenkreis gewährleistet werden können, ist rechtlich nicht gesichert.

Dieser Weg ist eine Fehlentwicklung, die weder den betroffenen Personen, den Kostenträgern noch den Einrichtungen dient. Die Fehlentwicklung wurde dadurch ausgelöst, daß der Personenschlüssel von 1:12 als unverrückbare Größe für die Fachkraftbesetzung dargestellt wird – die entspricht aber nicht den Bestimmungen der Werkstättenverordnung (WVO), wo diese Zahl lediglich die Mindestvoraussetzung für die Anerkennung der Werkstatt ist.

Es ist zweckmäßig, die im Gesetz maßgebenden Stellen genauer zu betrachten, bevor eine Zuordnung der Werkstattbeschäftigten zur Werkstatt oder zur Förderstätte vorgenommen wird: Im § 136 Abs. 2 SGB IX heißt es, daß die Werkstatt allen behinderten Menschen, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung, offen stehen soll. Es folgt dann die Einschränkung, die lediglich drei Kriterien benennt:

  1. Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit
    Spätestens nach Abschluß der Teilnahme im Berufsbildungsbereich - also nach drei Monaten Eingangsverfahren und 24 Monaten Berufsbildungsmaßnahme - muß ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbracht werden. Das Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit wird in einem höchstrichterlichen Urteil sinngemäß so definiert, daß ein Beitrag zur Bereicherung bei der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt geleistet werden muß. Der Ergebnisumfang und die Bedingung, unter denen dieses Mindestmaß erreicht wird, sind dabei unbedeutend.

  2. Selbst- oder Fremdgefährdung
    Ist trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten, dann ist eine Aufnahme nicht möglich. Die Erfahrung mit schwerstbehinderten Menschen, die dauerhaft in der Förderstätte untergebracht sind und angemessen betreut werden, zeigt, daß ein solches Gefährdungspotential sehr selten vorkommt.

  3. Ausmaß der Betreuung und Pflege
    Ist das Ausmaß der erforderlichen Betreuung und Pflege so umfangreich, daß eine Teilnahme an Bildungsmaßnahmen oder bei der wirtschaftlichen Betätigung der Werkstatt nicht mehr möglich ist, dann ist die Aufnahme in die anerkannte Werkstatt nicht angezeigt. Hier ist aber trotzdem zu bedenken, daß ein Limit für ein Minimum an Arbeitsergebnis nicht besteht.

Im § 137 Abs. 1 wird der Werkstatt die Aufnahmeverpflichtung zugewiesen. Die anerkannte Werkstatt muß die Menschen aufnehmen, die die Aufnahmevoraussetzungen erfüllen. Die Aufnahme erfolgt – und hat zu erfolgen - unabhängig von

  1. der Ursache der Behinderung
  2. der Art der Behinderung, wenn...
  3. der Schwere der Behinderung, der Minderung der Leistungsfähigkeit und einem besonderen Bedarf an Förderung, begleitender Betreuung oder Pflege.

Diese Vorgaben zeigen, daß lediglich die oben benannten Ausschlußkriterien einer Aufnahme von schwerstbehinderten Menschen in die anerkannte Werkstatt entgegenstehen können.

Die WVO trifft hierzu eine sehr deutliche und klare Aussage. In § 1 heißt es:

  1. Die Werkstatt für behinderte Menschen (Werkstatt) hat zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie die behinderten Menschen im Sinne des § 136 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch aus ihrem Einzugsgebiet aufnehmen kann.
  2. Der unterschiedlichen Art der Behinderung und ihren Auswirkungen soll innerhalb der Werkstatt durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Bildung besonderer Gruppen im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich, Rechnung getragen werden.

Fazit und Ausgangsvoraussetzung für ein neues Modell in Niederbayern
Beurteilung aus der Sicht der schwerbehinderten Menschen:

Die Schaffung der Rahmenbedingungen für eine angemessene Förderung und Betreuung von schwerstbehinderten Menschen (mit wenigen bestimmten Ausnahmen) in der anerkannten Werkstatt ist damit im Gesetz eindeutig vorgesehen. Die Schaffung der Betreuungs- und Fördervoraussetzungen ausschließlich außerhalb der Werkstatt in der angegliederten Förderstätte ist daher als Fehlentwicklung zu sehen.

Den betroffenen behinderten Menschen wird dadurch der schlechtere Rechtsstatus des § 136 Abs. 3 (SGB IX) zugebilligt. Sie sind nicht in einer arbeitnehmerähnlichen Rechtsbeziehung zur Werkstatt mit Lohnanspruch und sie sind nicht in der Sozialversicherung wie sie für Werkstattbesucher gilt. Selbst in der berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung auf dem Weg zur Werkstatt/Förderstätte sind sie nicht versichert.

Der Hilfebedarf kann in der anerkannten Werkstatt gedeckt werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: gleiche sachliche, räumliche und personelle Ausstattung wie in der Förderstätte. Die Qualität der Förderung und Betreuung wäre dadurch im Rahmen der anerkannten Werkstatt wie bisher in der Förderstätte gesichert. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der anerkannten Werkstatt verbessert den Rechtsstatus wesentlich durch die Sozialversicherung, den Lohnanspruch und das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis zur Werkstatt. Der dauerhafte Anspruch auf Eingliederungshilfe ist mit der Zugehörigkeit zur anerkannten Werkstatt verbunden und ebenfalls gesichert.

Beurteilung aus der Sicht der Kostenträger:
Die Anerkennung des Hilfebedarfs und die Übernahme der hierfür notwendigen Kosten im Rahmen der vereinbarten Kostensätze, wie sie für die Förderstätte bestehen, kann in gleicher Weise auch in der anerkannten Werkstatt für die schwerstbehinderten Menschen kostenneutral übernommen werden.

Zu den bestehenden Kostensätzen fällt in der Werkstatt für den Kostenträger anteilig der Beitrag zur Sozialversicherung bis zur Höhe von 20% des Mindestberechnungsentgeltes an sowie das Arbeitsförderungsgeld. Diese geringen Mehrkosten führen langfristig zu einer Einsparung in vielfacher Höhe für den Kostenträger. Nach zwanzigjähriger Zugehörigkeit zur Rentenversicherung entsteht ein Anspruch auf Rentenbezug, der zur Kostenentlastung bei Wohnheimunterbringung bzw. bei der Hilfe zum Lebensunterhalt eingesetzt wird. Auch die Risiken im Gesundheitswesen werden durch die Krankenversicherung und durch die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherung gedeckt. Selbst der Bezug von Arbeitsentgelt in geringer Höhe führt zu Einsparungen in der Sozialhilfegewährung.

Beurteilung aus der Sicht der Werkstatt:
Die anerkannte Werkstatt kann bei Übernahme der Kosten eine dem Hilfebedarf angemessene Betreuung und Förderung für schwerstbehinderte Menschen bieten und sicherstellen. Förderstätten, die bei der Werkstatt angegliedert und organisatorisch eingebunden sind, wie dies bei den meisten teilstationären Werkstätten/Förderstätten der Fall ist, können weiter geführt werden wie bisher. Die schwerstbehinderten Menschen verbleiben in ihrer gewohnten Umgebung unter den bisherigen Bedingungen.

Die inhaltliche Gestaltung der Betreuung und Förderung wird durch das Element Arbeit ergänzt. Die besonders ausgewählten Teilaufgaben aus Erwerbsaufträgen müssen durch den Grad der Arbeitsteilung, die Arbeitsorganisation, die Gestaltung der Arbeitsplätze und durch individuell angepaßte technische Arbeitshilfen für schwerstbehinderte Menschen so aufbereitet werden, daß ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit in sinnstiftender Weise erbracht werden kann.

Die Zahlung des Arbeitsentgeltes kann durch die geringe Leistung der schwerstbehinderten Menschen zur Senkung des Leistungen bei den anderen Beschäftigten führen. Falls das Arbeitsergebnis zur Vermeidung der Absenkung nicht reicht, ist mit dem Kostenträger unter Berücksichtigung der für ihn langfristig erreichten Einsparung eine geeignete Lösung zu suchen.

Modalitäten und Verfahrensweisen des Modells Niederbayern:
Schwerstbehinderte Menschen in der Förderstätte, für die eine Hinführung zum anerkannten Personenkreis der Werkstatt in Betracht kommt, werden im Fachausschuß vorgestellt. Nach Beratung und Zustimmung im Fachausschuß und nach Zustimmung des Kostenträgers wird diesen Personen die Zugehörigkeit zum anerkannten Personenkreis der WfbM mit dem jeweiligen Rechtsstatus zuerkannt. Diese Personen, die bisher direkt in der Förderstätte aufgenommen wurden, werden künftig durch das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich geführt. Beide Maßnahmen finden für diesen Personenkreis in der Förderstätte unter Förderstättenbedingungen statt.

Aktuelle Kostensatzgestaltung in Niederbayern:
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist derzeit nicht bereit, das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich unter Förderstättenbedingungen zu fördern (d. h. mit einen Personalschlüssel von 1:3).Um den schwerstbehinderten Menschen die Teilnahme an diesen Maßnahmen unter Förderstättenbedingungen zu ermöglichen, übernimmt der Träger der überörtlichen Sozialhilfe die Mehrkosten zwischen dem Kostensatz der BA im Eingangs- und Berufsbildungsbereich und dem Kostensatz der Förderstätte.

Wird nach Abschluß der Berufsbildungsmaßnahme von diesen Personen ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbracht, so werden sie nach Beratung im Fachausschuß und Zustimmung des Kostenträgers unter Förderstättenbedingungen in den Arbeitsbereich der anerkannten Werkstatt übernommen.

Für diese Personen wird vom Kostenträger der Kostensatz der Förderstätte anerkannt.

Resümee
Die Werkstätten stehen in der Verantwortung für schwerstbehinderte Menschen und haben sie bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen. Die Gesetze ermöglichen den schwerstbehinderten Menschen den Zugang zur anerkannten Werkstatt; dies wurde oben dargelegt und wird nun auch in Niederbayern umgesetzt. Das Förder- und Betreuungsangebot muß dem Hilfebedarf entsprechen und die Teilhabeleistung Arbeit muß in besonderer Weise für die Möglichkeiten und Bedürfnisse der schwerstbehinderten Menschen aufbereitet werden.

So gelingt es derzeit allein im beteiligten Werkstättenverbund Straubing-Eggenfelden-Mitterfels, daß für 25 Menschen ein Übergang in die anerkannte WfbM erprobt und gestaltet wird; dies entspricht einem Drittel der bislang in Förderstätten begleiteten Menschen; für ein weiteres Drittel wird ebenfalls ein Übergang vorgesehen und angestrebt.

Walter Damböck, Werkstättenverbund Straubing-Eggenfelden-Mittelfels



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