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Der Sozialstaat ist unbezahlbar!
„Es träumt mir, ich sei Alleinherrscher, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gekannt hat und der für sein Volk nur das Beste will“. So offenbarte Peter Hartz in einer großen Wochenzeitschrift seinen Traum von der seiner verantwortlichen Gestaltung unserer Gesellschaft. Und er setzte noch eins drauf: „Falls jedoch nach einem Jahr nicht alle Bewohner seiner Herrschaft wieder in Brot und Arbeit stünden, falls die Bilanz seiner Versprechen negativ ausfiele, dann – dann habe er mit der Höchststrafe zu rechnen. Für das Nichterreichen der proklamierten Ergebnisse muß er mit dem Kostbarsten bezahlen, was er hat: mit dem eigenen Leben. Und zwar unverzüglich.“

Was für ein schrecklicher Gedanke! Der Sozialstaat als Produkt eines Diktators – oder Kopf ab. Kein Wunder, daß die Presse kommentiert: „Größenwahn“, „manisch-depressive Muster“, „Ceausescu hat Pate gestanden“. Unser Sozialstaat ist das Gegenteil von solchen Alpträumen. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe, der Sammlung gleichgesinnter Mitstreiter, der mühsamen Durchsetzung oft nur kleiner und kleinster Erfolge und der ständigen Versuche, jeden noch so geringen Fortschritt durch den demokratisch gewählten Souverän politisch zu sichern. Weil das so war und immer noch so ist, darf unser Sozialstaat nicht Trugbildern geopfert oder zum Spielball wirtschafts und finanzpolitischer Experimente werden. Auch nicht zum Übungsfeld von Gedankenspielen, die nicht in demokratischen Grundsätzen wurzeln.

Die Neuwahl des Deutschen Bundestages, die große Koalition in Berlin und die angekündigten Regierungsvorhaben sind Ergebnisse einer tiefen Verunsicherung in unserer Bevölkerung. Bereits kurz nach der Oktober-Wahl hatten die Demoskopen den Grund für das aufrüttelnde Bundestagswahlergebnis erkannt: Unserem Land fehlt das soziale Antlitz, hieß es in den Medien. Wer kann das besser beurteilen als die, die sich selbst inzwischen als die gesellschaftlich „Überflüssigen“ bezeichnen: arbeitslose, obdachlose, zukunftslose Menschen? Sie wurden in den vergangenen Jahren immer mehr. Ihre millionenfache Zahl verdeckt das Schicksal eines jeden einzelnen, einer jeden Familie. So konnte die Politik zur Tagesordnung übergehen. Das lateinische Lehnwort dafür ist uns geblieben: Agenda.

Unser Sozialstaat ist unbezahlbar. Nein, nicht wie Sie jetzt denken. Er ist unbezahlbar wie die Luft zum Leben, wie das Vertrauen unter Freunden, wie die Verläßlichkeit unter ehrlichen Partnern. Er darf nicht Spielball von Wirtschafts und Finanzinteressen sein. Ein Sozialstaat scheitert nicht am Geld. Unsere Bundesrepublik ist nach wie vor eine der weltweit stärksten Volkswirtschaften. Nur werden die geschaffenen Werte exportiert. Die Binnennachfrage bleibt auf der Strecke. Auch die Unternehmensmoral hat einen neuen Tiefstand erreicht, wenn man an skrupellose Massenentlassungen denkt, die zu besseren Aktienkursen und höheren Managergehältern führen sollen. Das beklagen längst namhafte Wirtschaftswissenschaftler und selbst prominente Unternehmer mahnen eine Stärkung der Binnenkonjunktur und eine neue Ethik in den Unternehmen an. Die Medien berichten inzwischen häufiger darüber.

Unser Sozialstaat ist unbezahlbar. Ja, er ist ein unverzichtbares Gut. Er ist Leib und Seele unserer demokratischen Gesellschaft, untrennbar mit ihr und uns allen verbunden. Ein Aderlaß wirkt sich auf den ganzen Körper aus. Damit will ich die finanziellen Probleme nicht verharmlosen, vor denen wir vor allem in den Kommunen stehen. Über vier Millionen Arbeitslose, auch der hohe Sockel schwerbehinderter Arbeitnehmer hat sich mit über 190.000 wieder verfestigt. Jahr für Jahr kommen rund 30.000 junge Menschen hinzu, denen kein Weg ins Erwerbsleben gebaut wird. Das ist ein soziales Drama. Und das spielt sich vor allem auf kommunaler Ebene ab. Mit ein paar guten Ideen und wohlwollenden Taten ist das nicht zu beenden. Aber mit schlechten Ideen und falschen Taten schon gar nicht.

Wir sind auch in dieser 16. Legislaturperiode bereit, den Politikern auf allen Ebenen mit unseren Überlegungen und Vorschlägen zur Seite zu stehen. Es fehlt uns nicht am Mut, unkonventionelle Wege zu gehen und Traditionen zu überprüfen. Wenn sich eine Entwicklung historisch überholt hat, muß man die Weichen in die richtige Richtung stellen. Darüber kann man mit uns diskutieren. Nur über eines nicht – über die richtige Richtung. Die heißt für uns nach wie vor: gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben, vorbehaltlose Einbeziehung in das Leben unserer Gemeinschaft, Beistand und Förderung für alle, die unsere Hilfe benötigen.

Als Werkstattträger nehmen wir die Herausforderungen an.

Günter Mosen, Vorsitzender der BAG WfbM



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