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Wann ist Strafen verfehlt? Kritik an einem Berliner Urteil
Eine Mutter, die ihrem schwerbehinderten Sohn einen Medikamentencocktail zusammenrührt, um ihn zu töten, leistet damit keine Sterbehilfe, sondern begeht Totschlag. Wenn der Sohn sie dazu aufgefordert hat, ihm den Cocktail einzuflößen, bleibt es eine Tötung auf Verlangen. Die Mindeststrafe dafür beträgt sechs Monate Haft.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat nun im Fall der siebenundvierzigjährigen Brigitte R., die ihren vor zehn Jahren mit dem Motorrad schwer verunglückten neunundzwanzigjährigen Sohn Riccardo getötet und dann einen Selbstmordversuch unternommen hatte, von Strafe abgesehen. Das erlaubt Paragraph 60 des Strafgesetzbuchs, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.

Die Mutter ist überzeugt, ihr Sohn, der sich nur durch Blinzeln verständigen konnte, habe von ihr verlangt, ihn zu töten. Die evangelische Kirche stellte sich gegen das Urteil: „Anfang und Ende des Lebens stehen nicht zu unserer Verfügung.“ Fachgerechte schmerzlindernde Behandlungen, selbst wenn sie die Nebenwirkung Tod haben sollten, sind in Deutschland durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlaubt. Die gezielte Gabe eines tödlichen Medikamentencocktails dagegen ist, wie man die Dinge auch dreht und wendet, keine Sterbehilfe mehr, sondern Tötung auf Verlangen.

Wer Ärzte dafür straffrei stellen will, verlangt für Deutschland, wie verklausuliert das auch formuliert sein mag, niederländische Verhältnisse.

Auch Bundespräsident Köhler lehnt aktive Sterbehilfe in Deutschland ab. „Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen“, heißt es in einer Rede Köhlers, die er auf einer Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz in Würzburg hielt.

Seit der Gründung der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas in Hannover wird in Deutschland lebhaft über aktive Sterbehilfe diskutiert. Allerdings ist Töten auf Verlangen - anders als in Belgien und den Niederlanden - in Deutschland verboten. Vereins-Gründer Ludwig Minelli spricht in seiner Organisation deshalb vom „assistierten Suizid“. Sterbebegleiter dürfen in der Schweiz Sterbewilligen Medikamente in tödlicher Dosis beschaffen und dem Sterben beiwohnen. Damit werde das Tor zur aktiven Sterbehilfe geöffnet, kritisieren die Evangelische Kirche und die Hospizbewegung in Deutschland.

Nach FAZ, 26.09.2005, und 05.10.2005



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