Politik 30.12.05
Werkstätten – Zukunft der Teilhabe am Arbeitsleben
Erwerbstätig sein zu können, das ist nicht nur eine Voraussetzung zur Einkommenssicherung, sondern auch eine zentrale Lebenserfahrung, die unerläßlich für die Ausbildung einer selbstbewußten Persönlichkeit und eine wichtige Quelle gesellschaftlicher Anerkennung ist. Dies gilt für Menschen mit Behinderungen gleichermaßen wie für Menschen ohne Behinderungen. Im System der beruflichen Rehabilitation nehmen die Werkstätten für behinderte Menschen eine wichtige Stellung ein. Rheinland-Pfalz hat deshalb viel Geld investiert, um über 12.000 Plätze in Werkstätten einzurichten. Damit wurde ein flächendeckendes Angebot geschaffen, mit dem Rheinland-Pfalz im Bundesvergleich sehr gut dasteht.

Werkstätten erbringen qualitativ hochwertige Leistungen zur beruflichen Rehabilitation und sind zudem wirtschaftlich erfolgreich. Ein Ausdruck der qualitativ hochwertigen Arbeit der rheinland-pfälzischen Werkstattbeschäftigten, der Fachkräfte für Arbeits- und Berufsförderung und der Werkstattleitungen ist, daß die Werkstattentgelte über dem Bundesdurchschnitt liegen. Aber die gesellschaftliche Realität zwingt uns, daß wir uns nicht auf den erzielten Erfolgen ausruhen können. Zunehmend mehr Menschen mit Behinderungen erwarten eine stärkere Integration auf den ersten Arbeitsmarkt und damit verbunden mehr gesellschaftliche Teilhabe. Die prekäre Situation der öffentlichen Haushalte und sozialen Sicherungssysteme, die Anforderungen eines globalisierten Arbeitsmarktes und die damit einhergehende Arbeitsverlagerung in Länder, die kostengünstigere Angebote unterbreiten, stellen darüber hinaus eine große Herausforderung für die Werkstätten dar.

Wenn wir seit einiger Zeit gemeinsam und intensiver über die zukünftige Gestaltung der Werkstätten nachdenken, darf nicht unbeachtet bleiben, daß sich in den letzten Jahren in allen Bereichen der Teilhabe behinderter Menschen ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Teilhabe verwirklichen, Gleichstellung durchsetzen und Selbstbestimmung ermöglichen - diese zentralen Botschaften des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderungen sind auch Eckpfeiler der rheinland-pfälzischen Politik. In unserem Bundesland finden sie Ausdruck in der Hinwendung zur personenbezogenen Hilfe, in der verbindlichen Einführung einer individuellen Hilfeplanung und in der Möglichkeit, persönliche Budgets zu gestalten.

Insofern ist die schwierige finanzielle Situation auch die Chance umzusteuern. Wir alle müssen große Anstrengungen unternehmen, um den Menschen, die auf die Beschäftigung in einer Werkstatt als einzige Alternative angewiesen sind, auch künftig eine angemessene Förderung garantieren zu können. Es liegt deshalb in unser aller Interesse, genau zu prüfen, welche Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Werkstätten bestehen und genutzt werden können. Wenn wir dies nicht tun, dann drohen uns Entwicklungen, wie sie in dem in den Bundesrat eingebrachten Kommunalen Entlastungsgesetz vorgezeichnet sind. Eingliederungshilfeleistungen müssen aber weiter als Rechtsgarantie gewährt werden und dürfen nicht abhängig von der jeweiligen Haushaltslage einer Kommune werden. Dafür werde ich mich auch künftig mit Vehemenz einsetzen.

Ich richte daher mein Augenmerk darauf, was vor der Aufnahme in eine Werkstatt getan werden kann, um behinderten Menschen den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erschließen, und wie Werkstattbeschäftigte unterstützt werden können, damit sie auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance haben. Keineswegs dürfen Werkstätten weiter in die Situation kommen, verstärkt auch psychisch behinderte, lernbehinderte und verhaltensauffällige Menschen aufzunehmen, bei denen zu hinterfragen ist, ob die Werkstatt tatsächlich das richtige Angebot für ihre beruflichen Teilhabe ist. Sicherlich ist diese Entwicklung auch eine Folge der allgemeinen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Für die betroffenen Menschen ist dies aber, wenn überhaupt, nur eine kurzfristige Lösung. Wir sind es diesen Menschen schuldig, ihre Gleichstellung mit anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verwirklichen.

In Rheinland-Pfalz unterstütze ich daher – auch finanziell – Projekte, die untersuchen, wie z. B. der Übergang von der Schule in das Berufsleben so gestaltet werden kann, daß trotz schwieriger Ausgangspositionen die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt gelingt. Zudem muß der Eingangs- und Berufsbildungsbereich im Sinne von modularen Ausbildungsabschnitten verändert werden, die Menschen mit Behinderungen qualifizieren und Vernetzungen mit anderen Ausbildungsangeboten, z. B. in Berufsbildungswerken, ermöglichen.

Gleichzeitig müssen wir nach Möglichkeiten suchen, um den Weg aus der Werkstatt heraus auf den ersten Arbeitsmarkt zu befördern. Hier spielen die Integrationsbetriebe eine ganz wichtige Rolle. Unser Ziel ist es, bis 2010 die Zahl der Arbeitsplätze für behinderte Menschen in Integrationsbetrieben von derzeit über 300 auf bis zu 2.000 zu erhöhen.

Die aktuelle, große Herausforderung für die Werkstätten besteht darin, sich dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu öffnen. Das mit Landesmitteln geförderte Projekt „Arbeitsweltbezogene Integrationsmodelle“ (AIM), das unter der Trägerschaft der Landesarbeitsgemeinschaft der WfbM durchgeführt wurde, hat hierfür Vorschläge erarbeitet. An erster Stelle stehen die flächendeckende Einführung eines Integrationsmanagements in den Werkstätten und die Heranführung der Beschäftigten an den ersten Arbeitsmarkt, beispielsweise durch Praktika und Außenarbeitsplätze. Inzwischen wurden konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet, die in einem Nachfolgeprojekt allen Werkstätten zugänglich gemacht werden.

Ein weiterer wichtiger Schritt wird es sein, mit den Werkstätten, der Selbsthilfe und den Kostenträgern eine Zielvereinbarung abzuschließen, die die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt in den Vordergrund rückt. Die entsprechenden Gespräche dazu laufen. Dazu gehört auch die Entwicklung eines „Budgets für Arbeit“, das Werkstattbeschäftigten zu Gute kommen soll, wenn sie die Werkstatt verlassen, aber Unterstützungsbedarf haben, der nicht mit den vorhandenen Instrumentarien gedeckt werden kann.

Das große Engagement und das hohe Leistungsniveau der Werkstätten stimmt mich optimistisch, daß es uns gelingen wird, die notwendigen Veränderungen in der beruflichen Rehabilitation gemeinsam anzupacken. Werkstätten sind und bleiben ein unverzichtbarer Bestandteil der beruflichen Rehabilitation. Heute muß ein Dialog darüber geführt werden, wie die bisherige Struktur, die ihre gesetzliche Prägung vor Jahrzehnten erhielt, weiterzuentwickeln ist. Mein Anliegen ist, gemeinsam mit den Werkstätten neue Wege zu gehen und innovative kreative Lösungen zu finden.

Viele Werkstätten haben sich längst auf diesen Weg gemacht. Dafür bedanke ich mich herzlich.

Malu Dreyer, Ministerin für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit, Rheinland-Pfalz



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