Gemeinsam mit der Lebenshilfe hat eine Teilnehmerin des Berufsbildungsbereiches einer Werkstatt die Auszahlung der Grundsicherungsleistung bei Erwerbsminderung vor dem Sozialgericht Detmold erstritten. Die Stadt Herford muss laut Urteil die seit einem Jahr verweigerten Leistungen der Grundsicherung auszahlen (Urteil vom 14. August 2018, Aktenzeichen: S 2 SO 15/18).
Hintergrund
Im Werkstatt:Telegramm 10.2017 hat die BAG WfbM ihre Mitglieder bereits darüber informiert, dass zum 1. Juli 2017 durch das „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuches“ eine Erweiterung des § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII in Kraft getreten ist. Diese besagt, dass bei Teilnehmern im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich kein Ersuchen zur Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung beim Rentenversicherungsträger erfolgen soll. Hinsichtlich der Interpretation und der praktischen Auswirkungen dieser Regelung gibt es jedoch gegensätzliche Auffassungen.
Unterschiedliche Interpretationen
Nach Auffassung der BAG WfbM bedeutet dies, dass sowohl bei Teilnehmern im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich als auch bei den Beschäftigten im Arbeitsbereich von Werkstätten kein Ersuchen auf eine gesonderte Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung erfolgt. Vielmehr ist von einer vollen Erwerbsminderung aufgrund der Fallkonstellation auszugehen. Somit ergibt sich auch für die Teilnehmer im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich ein grundsätzlicher Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung, sofern zudem eine Bedürftigkeit vorliegt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ging davon aus, dass für die Teilnehmer im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich grundsätzlich kein Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung besteht. Diese Auffassung hat das BMAS auch in einem an die obersten Landessozialbehörden gerichteten Rundschreiben 2017/3 („Ersuchen um gutachterliche Feststellung der Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für Behinderte“) vom 3. Juli 2017 kommuniziert. Aus Sicht des BMAS kann eine dauerhafte Erwerbsminderung erst nach Beendigung des Berufsbildungsbereichs festgestellt werden, weshalb ein vorheriges Ersuchen um Begutachtung entfalle. Da aufgrund fehlender Voraussetzungen kein Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung bestehe, sollten Teilnehmer im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich – sofern diese auf unterstützende Leistungen angewiesen sind – mögliche Ansprüche auf Leistungen nach SGB II (Sozialgeld) oder dem dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) geltend machen.
Weitere Entwicklung
Gegen die Interpretation des BMAS fassten die Vertreter der Bundesländer auf der 94. Arbeits- und Sozialministerkonferenz einen Beschluss (TOP 5.13), der den Bund dazu auffordert, „Menschen mit Behinderung auch im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung zu eröffnen“. Auch wenn das BMAS immer noch an seiner rechtlichen Auffassung festhält, so hält es laut eines Schreibens vom Februar 2018 ihre Auswirkung für problematisch. Ob und wann das Gesetz angepasst wird, bleibt noch abzuwarten. In der Praxis werden nach wie vor Anträge auf Grundsicherung abgelehnt. Daher sollten Menschen mit Behinderung, deren Anträge auf Grundsicherung abgelehnt wurden, auf die Möglichkeiten eines Widerspruchs hingewiesen werden. Ein entsprechendes Musterformular gibt es auf der Website des Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. unter http://bvkm.de .
Die BAG WfbM begrüßt das aktuelle Urteil des Sozialgerichts Detmolds. Es verdeutlicht, dass Widersprüche zu abgelehnten Anträgen eine gute Aussicht auf Erfolg haben.
Weitere Informationen finden Sie auf www.lebenshilfe.de.