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Wie teuer darf die Werkstatt sein?<br>Die Werkstatt für behinderte Menschen – erfolgreich gescheitert?
Teilhabe ohne Ausgrenzung

Eine der großen sozialpolitischen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland ist es, nach den Verbrechen, die an behinderten Menschen im so genannten „Dritten Reich“ begangen wurden, diesen nicht nur eine existenzsichernde Versorgung zu gewährleisten, sondern zunehmend auch Teilhabemöglichkeiten in gesellschaftlichen Bezügen zu eröffnen.

250.000 Menschen mit Behinderung, die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, in über 700 Werkstätten die Teilhabemöglichkeit an Arbeit zu eröffnen, ist eine Leistung, auf die Politik und alle Beteiligten zu Recht stolz sein können.

Daß die Werkstatt auch heute noch für viele die bessere Alternative zu anderen Möglichkeiten der Lebensgestaltung darstellt, zeigen die Zugangszahlen, die nicht nur konstant hoch bleiben, sondern in den letzten Jahren noch deutlich zugenommen haben.

Ein wichtiger Grundsatz des Werkstättensystems war und ist das Prinzip der einheitlichen Werkstatt. Dieses Prinzip wird allerdings von einigen Werkstattträgern mißverstanden. Es geht darum, Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf und geringer produktiver Leistungsfähigkeit nicht auszugrenzen, wie es derzeit von den Arbeitsagenturen und einigen Leistungsträgern versucht wird. Es geht aber nicht darum, die Werkstatt als die einzige und allein richtige Möglichkeit der Teilhabe für alle Menschen mit Behinderung zu definieren und damit Alternativen nicht zuzulassen.

Werkstatt vermeiden – Teilhabe verhindern?

Trotz der erkennbar hohen Zufriedenheit der behinderten Menschen mit den Werkstattleistungen − Ausnahmen bestätigen hier die Regel − nimmt die Kritik an den Werkstätten massiv zu.

Werkstätten sind zu teuer

Das mag ja sein. Allerdings fehlt uns jede Grundlage dies zu beurteilen. Wenn mit „zu teuer“ das Gesamtsystem der Werkstätten, wie es rechtlich definiert ist, angesichts der chronisch knappen Haushalte der öffentlichen Hand gemeint ist, dann muß das offen und politisch diskutiert werden. Und die Politik muß sagen, wenn sie Werkstätten nicht mehr will: „Wir wollen uns dieses qualifizierte System nicht mehr leisten“.

Wenn mit „zu teuer“ gemeint ist, die Werkstätten könnten die gleichen Ergebnisse mit weniger Aufwand erzielen, so halte ich das nicht für ausgeschlossen. Im wirtschaftlichen Bereich sind wir es ja durchaus gewohnt und im Rahmen vernünftigen Wirtschaftens und der Qualitätsmanagementsysteme auch dazu verpflichtet, laufend durch Verbesserung der Prozesse und der Wirksamkeit des Ressourceneinsatzes daran zu arbeiten, das gewünschte Ergebnis kostengünstiger zu erreichen. Solche Möglichkeiten sehe ich durchaus auch im Bereich der Begleitung, Unterstützung und Förderung behinderter Menschen in den Werkstätten. Allerdings setzt ein solcher Ansatz der Effizienzverbesserung voraus, daß zwischen den Beteiligten geklärt ist, welches konkrete und überprüfbare Ergebnis denn erreicht werden soll.

Die Diskussion darüber wird seitens der Politik und der Leistungsträger nicht geführt, wohl in der Befürchtung, es könnten Mehrkosten entstehen oder es müßte offen dargelegt werden, daß bestimmte Leistungen für behinderte Menschen in den Werkstätten als überflüssig angesehen werden. Die allgemeinen Vorgaben des § 136 SGB IX reichen aber als Bewertungsmaßstab nicht aus.

Die Diskussion wird aber auch von den Werkstätten und ihren Verbänden vermieden. Hier scheint die Befürchtung handlungsleitend zu sein, möglicherweise tatsächlich festzustellen, durch geeignete Maßnahmen die geforderten Leistungen kostengünstiger erbringen zu können und damit mit geringeren Leistungsentgelten auskommen zu müssen. Was wäre eigentlich daran so bedrohlich, wenn es gelingen würde, durch geeignete Maßnahmen das gleiche Ergebnis zu geringeren Kosten zu erreichen?

Ein weiterer Kritikpunkt lautet: Die Werkstätten sind Einbahnstraßen und verhindern die Ausgliederung in den allgemeinen Arbeitmarkt.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger hat in ihren Reformvorschlägen 2005 zur Weiterentwicklung des Sozialhilferechts eine Reihe durchaus diskussionswürdiger Vorschläge vorgelegt. Die Unklarheit in Bezug auf die Erwartung der Vermittlung wird allerdings in folgenden Formulierungen deutlich:

„... daß zu wenigen behinderte Menschen aus Werkstätten der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt. Die prognostizierten finanziellen Entlastungen ... sind deshalb bisher nicht eingetreten“. An anderer Stelle wird weiter ausgeführt, „... daß für den größten Teil der Beschäftigten in der Werkstatt wegen Art oder Schwere der Behinderung und trotz aller Fördermöglichkeiten der Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt dauerhaft nicht möglich sein wird“.

Hier frage ich mich, wird von der Werkstatt erwartet, verstärkt Vermittlungen zu bewerkstelligen, deren Auswirkungen bereits vorgeplant und prognostiziert wurden, obwohl gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß dies kaum gelingen kann?

Allerdings scheint es auch umgekehrt so zu sein, daß etliche Werkstätten gar keinen Versuch machen, auch Alternativen zu entwickeln und Übergänge aus der Werkstatt zu ermöglichen. Entweder aus der Überzeugung, daß sie die einzige und bestmögliche Teilhabemöglichkeit darstellen oder auch aus der Sorge, wie denn bei Vermittlung von Leistungsträgern die Produktion aufrecht erhalten werden kann.

Beachtenswert in diesem Zusammenhang erscheint mir, daß die eigentlichen Beweggründe, die ja durchaus ihre Berechtigung haben, von beiden Seiten nicht klar benannt werden. Das verhindert letztlich eine Klärung der gegenseitigen Erwartungen.

Werkstätten verhindern Integration

Zunehmend haben wir in den letzten Jahren auch die Kritik gehört, Werkstätten seien integrationsverhindernd. Diese Kritik kommt auch von Beschäftigten und ihren Angehörigen. Sie ist oft durchaus berechtigt und in etlichen Einzelfällen nachvollziehbar. Überwiegend jedoch stammt sie von Verbandsvertretern, die den Begriff Integration gleichsetzen mit einem Arbeitsverhältnis im allgemeinen Arbeitsmarkt.

Ich beziehe mich hier lieber auf die Position von Professor Martin Hahn, der anstelle von Integration von Solidarität spricht und persönliche und gesellschaftliche Solidarität definiert als das Ergebnis der Wahrnehmung anderer Menschen in ihrer Bedürfnislage. Integration würde dann bedeuten, behinderten Menschen zu ermöglichen, dort am Arbeits und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wo sie die gesellschaftliche und persönliche Solidarität erfahren. Dies kann nicht generell und ideologisch definiert werden, sondern muß im Einzelfall mit den Betroffenen geklärt und realisiert werden. Das entspricht den Forderungen des § 1 SGB und § 9 SGB IX.

Tatsächlich wissen die Werkstattbeschäftigten und ihre Angehörigen die Werkstatt als Teilhabemöglichkeit durchaus zu schätzen. Andererseits nimmt die teilweise berechtigte Kritik zunimmt. Dieses Dilemma kann nur gelöst werden, wenn alle Beteiligten in eine konstruktive und ergebnisoffene Diskussion darüber eintreten, was denn die erwarteten Ergebnisse der Werkstattarbeit sein sollen und was auch nicht. Dies setzt allerdings voraus, daß die berechtigten Interessen und Argumente der Beteiligten gegenseitig klargestellt, ernst genommen und ausgehandelt werden. Schuldzuweisungen und Tabus wie „Darüber verhandeln wir nicht.“, helfen nicht weiter. Dies zeigt die jahrelange und letztlich ergebnislose Auseinandersetzung um eine Kostenzuordnungsverordnung, die letztlich daran gescheitert ist, daß nicht über Ziele und Ergebnisse diskutiert wurde, sondern über Strukturdaten. Und da hat jeder aus seiner Sicht recht. Eine Lösung ist dabei allerdings nicht zu erreichen.

Suche nach Lösungen statt Suche nach Schuldigen

Es liegt auf der Hand, daß aufgrund der dauerhaft angespannten Haushaltssituation der Öffentlichen Hand und der nach wie vor steigenden Anzahl der Anspruchsberechtigten mit weniger Geld für mehr Personen auszukommen ist. Ich behaupte allerdings, daß insgesamt genügend Geld im System vorhanden ist, diese Mittel jedoch paßgenauer und effizienter eingesetzt werden müssen.

Genauso wenig wie berechtigte und gesetzlich verankerte Ansprüche behinderter Menschen nur aufgrund der Kassenlage in Frage gestellt werden dürfen, ist es zulässig, die Diskussion darüber zu verweigern, ob nicht diese Ansprüche auch anders und möglicherweise kostengünstiger erfüllt werden können. Manche Verbandsvertreter tendieren dazu, ihren Erfolg als Interessenvertreter der Einrichtungen oder der behinderten Menschen daran zu messen, daß materielle Verbesserungen erreicht werden nach dem Motto: Mehr ist besser, die Werkstattträger sehen teilweise bei einer Diskussion über Kostensenkungsmöglichkeiten die Qualität ihrer Arbeit und ihre Zukunftssicherung gefährdet.

Einen Lösungsansatz sehe ich in der Idee, nicht unbedingt in dem Instrument, des persönlichen Budgets. Wenn es uns gelingt, auf den Einzelfall bezogen den paßgenauen Hilfebedarf zu definieren und so kostengünstig wie möglich umzusetzen, werden wir feststellen, daß die Erwartungen der behinderten Menschen nicht unbedingt identisch sind mit dem, was Verbände und Fachpersonal in den Einrichtungen der Behindertenhilfe für erforderlich halten. Davon bin ich überzeugt.

Die Instrumente für solche personenbezogenen und individuellen Hilfen müssen entwickelt werden. Das setzt allerdings auch voraus, daß die Werkstätten über den notwendigen Handlungsspielraum verfügen und entwicklungs- und gestaltungshemmende Rechtsvorschriften und Strukturvorgaben seitens der Leistungsträger zurückgenommen werden. Andererseits verpflichtet mehr Eigenverantwortlichkeit die Werkstätten auch dazu, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die ohne Leistungseinschränkung bei den behinderten Menschen zu Kostenreduzierungen führen können. Das können wirtschaftlich sinnvolle Kooperationen sein, gemeinsamer Ressourceneinsatz, beispielsweise bei der EDV, bei der Verbesserung der Prozeßeffizienz oder bei der Entwicklung ergänzender oder alternativer Angebote.

Die Werkstatt ist kein Selbstzweck

Eines sollte bei der ganzen Diskussion um Leistungsentgelte und finanzielle Förderung nicht aus dem Blick geraten: Wir sind nicht angetreten, um möglichst viel Personal zu beschäftigen, um über möglichst umfängliche Gebäude zu verfügen oder um möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften. Wir brauchen Personal, Gebäude und wirtschaftliche Erträge in dem Umfang der notwendig ist, um unseren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, nämlich behinderten Menschen die Teilhabe an Arbeit entsprechend ihren Vorstellungen so gut wie möglich und auch so kostengünstig wie möglich zu erfüllen. Dies sind wir den Beschäftigten in unseren Werkstätten schuldig und auch der Gesellschaft, die letztlich diese Leistungen zu finanzieren hat. Nur so wird es uns gelingen, das bewährte Werkstättensystem so weiterzuentwickeln, daß es zukunftsfähig und erfolgreich bleibt.

Rainer Knapp, Geschäftsführer der GWW, Gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten GmbH Sindelfingen, ist stellvertretender Vorsitzender der BAG WfbM



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