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Mit den Konzepten von gestern die Probleme von morgen lösen?
Neue Herausforderungen brauchen neue Denkweisen

Ergebnisqualität statt Strukturvorgaben
Nach den bis 31.12.2004 geltenden Regelungen des § 93a Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes – heute § 76 Abs. 2 SGB XII – sollen Vereinbarungen über Inhalt, Umfang und Qualität der Werkstattleistungen getroffen werden. Erst auf dieser Grundlage ist eine sachgerechte Vereinbarung über die hierfür erforderlichen Leistungsentgelte möglich.

Die Praxis stellt sich anders dar: Leistungsentgelte wurden und werden entweder gedeckelt, teilweise reduziert oder pauschal (ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Kostenentwicklung) „vereinbart“ (de facto durch Setzung der Leistungsträger bestimmt). Eine qualifizierte Diskussion über die Auswirkung dieser Praxis findet weder seitens der Leistungsträger noch seitens der Leistungserbringer und ihrer Verbände statt. Dadurch sind die Werkstattträger kaum mehr in der Lage, die für die Anerkennung erforderlichen Personalstrukturen vorzuhalten, der Versuch vieler Werkstattträger, durch eine qualifizierte, individuelle Begleitplanung die pauschal definierten Ressourcen paßgenau einzusetzen, schlägt aufgrund der kaum noch vorhandenen Handlungsspielräume fehl. Insofern steht die derzeitige Praxis nach meiner Auffassung auch im Widerspruch zu der Intention des SGB IX, den behinderten Menschen eine selbstbestimmte und ihren Bedürfnissen entsprechende Unterstützung bei der Teilhabe am Arbeitsleben zukommen zu lassen.

Die „falschen“ Verhandlungspartner
Politik und Leistungsträger versuchen – aus ihrer Sicht, unter dem Druck der knappen Mittel und der steigenden Fallzahlen durchaus verständlich – die Kosten für die Teilhabeleistungen möglichst zu reduzieren. Die Leistungserbringer im Werkstättenbereich müssen unter dem Aspekt der qualifizierten Leistungserbringung und der Existenzsicherung ihrer Einrichtungen mit gleicher Berechtigung versuchen, die Leistungsentgelte den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen, um zumindest ihre Strukturqualität und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Werkstatt abzusichern.

Die Leistungsempfänger, also die behinderten Menschen selbst, sind hier in keiner Weise beteiligt, obwohl die Auswirkungen gedeckelter oder gekürzter Leistungsentgelte sie unmittelbar betreffen.

Hier ist ein grundsätzliches Umdenken erforderlich. Das persönliche Budget könnte, richtig angewandt, eine Steuerungsmöglichkeit durch die Betroffenen selbst darstellen, aber auch andere Möglichkeiten sind hier denkbar, wie ein individueller Hilfeplan, ein einrichtungsgebundenes Budget oder Versorgungsverträge. Alle Instrumente setzen allerdings voraus, daß im Einzelfall eine Einigung über den jeweils erforderlichen Hilfebedarf und damit über den Inhalt, den Umfang und die Qualität der zu erbringenden Leistung getroffen ist und die Leistungserbringung dann auch überprüft wird.

Die Werkstätten sind ein solches Vorgehen aus ihrer Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen ja durchaus gewohnt.

Dies setzt allerdings bei beiden Seiten auch die entsprechende Kompetenz voraus, die Leistungen zu beurteilen und es erfordert den Mut, den individuellen Hilfebedarf zu ermitteln, ohne von vornherein „die Kostenbremse im Kopf zu haben“. Ich bin überzeugt, daß in der Summe dadurch keine kostenmäßigen Mehrbelastungen, sondern eher Kostenreduzierungen die Folge sein werden, da die Betroffenen selbst aufgrund ihrer eigenen Vorstellungen und Lebensplanung ihren Hilfebedarf definieren und nicht Fachleute oder Leistungsträger vorgeben, was für den Einzelnen notwendig ist.

Mehr ist besser? – Der Ressourcenreflex
Die derzeitige Systematik der Eingliederungshilfe hat dazu geführt, daß jede Verbesserung der Leistungsentgelte, der Strukturvorgaben oder anderer materieller Vergünstigungen seitens der Leistungserbringer und ihrer Verbände als Verbesserung der Situation behinderter Menschen und damit als Erfolg verbucht wird. Umgekehrt scheinen die Leistungsträger ihren Erfolg eher darin zu sehen, Leistungsentgelte und Strukturvorgaben zu reduzieren. Eine qualifizierte sachliche Begründung ist weder für die eine noch für die andere Seite gegeben, da wie oben ausgeführt, die Bewertungsgrundlage nicht gegeben ist, nämlich die Vereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung. Im wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Werkstätten wäre ein solches Vorgehen undenkbar. Eine Kundenvorgabe zu erfüllen, die der Auftraggeber nicht spezifiziert, und dann über den Preis zu verhandeln oder gar Preisdiktate hinzunehmen, widerspricht nicht nur guten kaufmännischen Gepflogenheiten, sondern auch allen Anforderungen der üblichen Qualitätsmanagementsysteme.

Die Formel: „Mehr ist besser – weniger ist schlechter“, führt bei jedem Ansatz zur Kostensenkung zu reflexartigen Widerständen seitens der Leistungserbringer und ihrer Verbände, ohne zu reflektieren, ob dies tatsächlich auch zutrifft. So wird beispielsweise eine neu gegründete Werkstatt (deren Anerkennung in Kürze bevorsteht) von einigen Werkstattträgern heftig angefeindet, da diese Werkstatt wesentlich geringere Leistungsentgelte vereinbart hat, als sonst üblich. Die Befürchtung scheint zu sein, „es könnte ja bewiesen werden, daß es auch mit weniger Geld geht“ und damit die Höhe der eigenen Leistungsentgelte in Frage gestellt werden. Es wäre hier zielführender zu analysieren, wo sich die Arbeit dieser Werkstatt unterscheidet und daraus Ansätze für die Definition der Anforderungen an die eigene Einrichtung abzuleiten.

Die derzeitige Interessenlage führt dazu, daß die Auseinandersetzung um mehr oder weniger Geld letztlich in einer Machtfrage endet, wer sich letztlich durchsetzen kann. Die „nicht auskömmlichen Leistungsentgelte“ werden seitens der Werkstätten teilweise als Ausrede dafür genutzt, nichts tun zu müssen (oder zu wollen). So wird beispielsweise argumentiert, Zweigwerkstatträte nur dann einzurichten, wenn der Leistungsträger dies auch bezahlt – umgekehrt legitimieren die Leistungsträger ihre Intentionen der Leistungsentgeltabsenkung damit, daß die Werkstätten ja ohnehin Reserven hätten (also wohl unwirtschaftlich arbeiten würden) und die erwarteten Ergebnisse nicht erbringen (ohne diese definiert zu haben).

Personalschlüssel verhindern Qualitätsentwicklung
Nach über 30 Jahren verantwortlicher Tätigkeit kann ich immer noch nicht nachvollziehen, was Personalschlüssel letztlich mit der Qualität unserer Arbeit zu tun haben. Natürlich kann man schlußfolgern, daß mehr Personal möglicherweise auch zu größeren Leistungsumfängen und/oder zu mehr Qualität führen müßte. Die derzeit für die Anerkennung zugrunde gelegten Personalschlüssel (1:12 im Arbeitsbereich, 1:6 im Berufsbildungsbereich) entbehren allerdings, nach meiner Einschätzung, jeder fachlichen Begründung. Letztlich stellen diese Personalrelationen nichts anderes dar, als das Ergebnis von auf der Machtebene durchgeführten Verhandlungen, ein Bezug zu den konkreten betrieblichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten ist nicht erkennbar. Wenn dann noch seitens der Werkstätten die Personalschlüssel als Grundlage der betrieblichen Organisationsstruktur verwendet werden, darf es nicht verwundern, daß damit Entwicklungen zu mehr Effizienz und Qualität verhindert werden. Auch die Notwendigkeit von Organisations- und Personalentwicklung wird damit zugedeckt – Hauptsache der Schlüssel stimmt. Welche fachliche und menschliche Qualifikation erforderlich ist, wird dabei weniger diskutiert. Dies zeigt auch die heftige Diskussion über den erforderlichen Umfang, beispielsweise der sonderpädagogischen Zusatzqualifikation.

Damit führt die Orientierung an Personalschlüsseln dazu, daß die eigentliche Verantwortung der Leitung ein qualifiziertes Ressourcenmanagement zu betreiben, reduziert wird auf eine rein administrative, formale Personalberechnung ohne Bezug zu den betrieblichen Aufgaben.

Daß dieser Ansatz wenig mit der betrieblichen Realität und dem Umfang und der Qualität der Werkstattleistung zu tun hat, zeigt sich auch darin, daß die Leistungsentgelte für die Werkstattleistungen, die ja überwiegend durch die Personalkosten bestimmt werden, nicht nur bundesweit, sondern auch innerhalb der Bundesländer um Spannen von 30 Prozent und mehr differieren. Trotz dieser unterschiedlichen Leistungsentgelte ist jede Werkstatt überzeugt, qualifizierte Arbeit zu leisten – das ist nur erklärbar dadurch, daß die Werkstatt ihre Qualität selbst „definiert“ und die Leistungsträger keinen eigenen Anspruch formulieren. Ich halte daher den Ansatz, über Personalschlüssel die Qualität der Werkstatt definieren zu wollen, für nicht zielführend.

Der Versuch, durch Leistungstypen verbunden mit Hilfebedarfsgruppen, paßgenauere Leistungsangebote zu entwickeln, hat aus meiner Sicht zu keiner Verbesserung der Situation geführt, vor allem, da diese Umstellungen unter dem Primat der Kostengleichheit gestanden haben und damit lediglich vorhandene Strukturen in anderer Form abgebildet haben.

Landeseinheitliche Leistungsentgelte auf Grundlage definierter und überprüfbarer Werkstattleistungen ohne einengende Strukturvorgaben, wie Personalschlüssel oder Flächenrichtwerte, würden es den Werkstätten erleichtern, im Rahmen ihrer unternehmerischen Kompetenz, alle Potentiale der Effizienzverbesserung und Qualitätsentwicklung, auch im Sinne kontinuierlicher Verbesserungsprozesse auszuschöpfen.

Dazu wäre allerdings, und ich hoffe, daß es dazu kommt, eine tiefgreifende Veränderung und Reduzierung gesetzlicher und verordnungsmäßiger Vorschriften ebenso notwendig, wie die Bereitschaft der Leistungsträger, darauf zu verzichten, den Leistungserbringern in die Umsetzung ihres Auftrages hineinzuregieren.

Rainer Knapp, Geschäftsführer der GWW, Gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten GmbH Sindelfingen, ist stellvertretender Vorsitzender der BAG WfbM



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