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Ein Kind als Schaden?
Von Reinhard Müller
Ist die Geburt eines Kindes ein Schaden? Stellt eine unterbliebene Abtreibung einen gewöhnlichen (Arzt-)Haftungsfall dar, der umfangreiche Ersatzansprüche nach sich zieht? Oder wird dadurch ein Mensch in unzulässiger Weise zum Objekt gemacht?
Der französische Staat hat nun die Rekordsumme von jeweils 2,4 Millionen Euro an zwei Elternpaare behinderter Kinder gezahlt. Es handelt sich um eine gütliche Einigung, die nun ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beendet hat. Mit dem Geld soll die lebenslange Pflege der Kinder gewährleistet werden.
Die Eltern hatten sich in Straßburger gegen ein französisches Gesetz gewandt, das Zahlungen für behinderte Kinder erschwerte. Das verstieß nach Auffassung des Gerichtshofs gegen den Eigentumsschutz aus dem 1. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Was die Höhe der Entschädigung angeht, so regten die Straßburger Richter eine Einigung an.
Die gibt es nun. Damit ist jedoch noch nicht der teilweise erbitterte Streit beigelegt, der in mehreren europäischen Ländern geführt wird. Es geht dabei nicht nur um Kinder, die trotz einer Untersuchung mit schwersten gesundheitlichen Schäden zur Welt kommen und lebenslanger Fürsorge bedürfen. Es geht bisweilen auch um ungewünschte gesunde Kinder, die aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers etwa bei einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Sterilisation auf die Welt kommen.
In Deutschland gibt es eine mittlerweile recht umfangreiche Rechtsprechung, die nicht zuletzt mit dem Schlagwort „Kind als Schaden“ ringt. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellt 1993 klar: „Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle kommt von verfassungswegen nicht in Betracht.“
Es verbiete es sich, „die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen“. Später hatte der Erste Senat über fehlerhafte „genetische Beratung“ zu entscheiden. Die Richter bestätigten die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der ein Arzt für auch solches Fehlverhalten einstehen müsse.
Der BGH hatte stets die „vermögensmäßige“ Bedeutung des Schadensausgleichs hervorgehoben, die das Kind nicht mit einem Makel belege, „noch stellt es gar sein Lebensrecht in Frage“. Einen eigenen Schadensersatzanspruch hat der Bundesgerichtshof deshalb einem behindert geborenen Kind - anders als 2002 der französische Kassationsgerichtshof - nicht zuerkannt.
Text: F.A.Z. vom 22. Juni 2006, Quelle: http://www.faz.net
Ist die Geburt eines Kindes ein Schaden? Stellt eine unterbliebene Abtreibung einen gewöhnlichen (Arzt-)Haftungsfall dar, der umfangreiche Ersatzansprüche nach sich zieht? Oder wird dadurch ein Mensch in unzulässiger Weise zum Objekt gemacht?
Der französische Staat hat nun die Rekordsumme von jeweils 2,4 Millionen Euro an zwei Elternpaare behinderter Kinder gezahlt. Es handelt sich um eine gütliche Einigung, die nun ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beendet hat. Mit dem Geld soll die lebenslange Pflege der Kinder gewährleistet werden.
Die Eltern hatten sich in Straßburger gegen ein französisches Gesetz gewandt, das Zahlungen für behinderte Kinder erschwerte. Das verstieß nach Auffassung des Gerichtshofs gegen den Eigentumsschutz aus dem 1. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Was die Höhe der Entschädigung angeht, so regten die Straßburger Richter eine Einigung an.
Die gibt es nun. Damit ist jedoch noch nicht der teilweise erbitterte Streit beigelegt, der in mehreren europäischen Ländern geführt wird. Es geht dabei nicht nur um Kinder, die trotz einer Untersuchung mit schwersten gesundheitlichen Schäden zur Welt kommen und lebenslanger Fürsorge bedürfen. Es geht bisweilen auch um ungewünschte gesunde Kinder, die aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers etwa bei einem Schwangerschaftsabbruch oder einer Sterilisation auf die Welt kommen.
In Deutschland gibt es eine mittlerweile recht umfangreiche Rechtsprechung, die nicht zuletzt mit dem Schlagwort „Kind als Schaden“ ringt. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellt 1993 klar: „Eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle kommt von verfassungswegen nicht in Betracht.“
Es verbiete es sich, „die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen“. Später hatte der Erste Senat über fehlerhafte „genetische Beratung“ zu entscheiden. Die Richter bestätigten die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der ein Arzt für auch solches Fehlverhalten einstehen müsse.
Der BGH hatte stets die „vermögensmäßige“ Bedeutung des Schadensausgleichs hervorgehoben, die das Kind nicht mit einem Makel belege, „noch stellt es gar sein Lebensrecht in Frage“. Einen eigenen Schadensersatzanspruch hat der Bundesgerichtshof deshalb einem behindert geborenen Kind - anders als 2002 der französische Kassationsgerichtshof - nicht zuerkannt.
Text: F.A.Z. vom 22. Juni 2006, Quelle: http://www.faz.net