Das Projekt stellt grundsätzliche Fragen: Wieviel stationäre Heimplätze werden in zehn Jahren erwartet? Auf welche neuen Zielgruppen muß sich die Einrichtung einstellen? In welchen Regionen wird ein steigender Bedarf erwartet? Welche sozialpolitischen Entwicklungen gilt es zu berücksichtigen (ambulant vor stationär, Kommunalisierung, Persönliches Budget)? Welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus für das Dominikus-Ringeisen-Werk?
Da Aktion Mensch Großeinrichtungen Unterstützung bei der Entwicklung in Richtung kleinere Einheiten bietet, lag es nahe, dort einen Förderantrag zu stellen. Ein Kernpunkt des Antrags war, daß die Einrichtung die Standorte Ursberg und Holzen verkleinert und wohnortnah Wohnangebote einrichtet.
Standorte außerhalb des „Stammsitzes“ Ursberg aufzubauen, war bereits Dominikus Ringeisen wichtig: Was heute als „wohnortnahes Angebot“ bezeichnet wird und worunter man dezentrale Angebote in kleineren Einheiten versteht, verwirklichte er schon vor über 100 Jahren mit seinen „Filialen“. Der wesentliche Unterschied: Während sich seinerzeit auf Grund der großen Nachfrage diese Betreuungsangebote schnell zu jeweils großen Einheiten mit weitem Einzugsbereich entwickelten, werden heute kleine Objekte angestrebt.
Bereits seit Jahren sind so Angebote geschaffen worden, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, alleine oder zu mehreren zusammen in Wohnungen oder Einfamilienhäusern in Wohngegenden benachbarter Gemeinden zu leben. Das selbstbestimmte Leben in relativer Nähe zu den Arbeits-, Freizeit- und anderen Angeboten in Ursberg wird dabei von den Betroffenen als Vorteil angesehen und gern genutzt. Meist handelt es sich dabei um Menschen, die bis dahin in einem der Ursberger Heime gelebt haben und durch die intensive Förderung eine Selbstständigkeit erreicht haben, die ihnen das Leben in einer der neuen Wohnformen ermöglicht.
Zunehmend steigt aber auch die Nachfrage nach Angeboten, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, in der unmittelbaren Nähe ihres gewohnten Umfeldes auch dann zu bleiben, wenn sie z. B. das Elternhaus oder die Schule verlassen, wenn sie ihren Wohn- und Arbeitsplatz nicht in einer teils weit entfernten Einrichtung, sondern im heimatlichen und vertrauten sozialen Umfeld suchen. Auch diesem Bedarf hat das Dominikus-Ringeisen-Werk mit neuen Standorten entsprochen. Oft aber gibt es vor Ort z. B. ein entsprechendes Wohnangebot, aber keine Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeit oder umgekehrt. Eine hohe qualifizierte Fachlichkeit ist die Voraussetzung, um diesen Bedarf zu erkennen und sich mit Trägern anderer Angebote im Umfeld sowie den Kostenträgern und lokalen Behörden abzustimmen. Daher hat das Dominikus-Ringeisen-Werk zum Jahresbeginn eine Stelle „Projekt Zukunftsentwicklung“ geschaffen, besetzt mit dem langjährigen Heimleiter und erfahrenen Diplom-Pädagogen Wolfgang Tyrychter.
Die so angestrebte Regionalisierung wird damit eine Erweiterung und nicht Ersatz der Angebote des Dominikus-Ringeisen-Werkes in Ursberg und den anderen bisherigen zahlreichen Standorten vornehmlich im südbayerischen Raum. Durch die regional differenzierten Angebote werden zwar Plätze in den größeren und komplexeren Angebotsformen weniger nachgefragt werden. Andererseits wird es aber immer einen Personenkreis geben, für den der hohe Angebotsstandard in zentralen Einheiten das richtige und notwendige Angebot darstellt.
Auf neue Entwicklungen und Bedürfnisse im Bereich der Eingliederungshilfe schnell und flexibel reagieren zu können, ist eine wichtige Aufgabe des neuen Projektes. So ist z. B. in den letzten Jahren die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Menschen mit Schädel-Hirn-Traumata stark gestiegen. Dabei handelt es sich um Menschen, die – auch dank der medizinischen Fortschritte – beispielsweise nach einem Unfall mit bleibenden geistigen und körperlichen Einschränkungen auf spezialisierte Angebote angewiesen sind. Diese Personen mit „erworbenen“, also nicht seit Geburt bestehenden Behinderungen, stellen die Eingliederungshilfe vor teils völlig neue Anforderungen. Sie kommen aus einem „normalen“ Leben, sie und ihre Angehörigen, oft Ehepartner und Kinder, stehen vor einer neuen, oft schwer zu bewältigenden Lebenssituation, brauchen ganz spezielle Betreuung und Begleitung. Auch hier hat sich das Dominikus-Ringeisen-Werk mit seinen differenzierten Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten bereits einen sehr guten Ruf erworben. Dieses Beispiel zeigt aber auch deutlich, wie notwendig es ist, sich laufend auf neue Anforderungen einzustellen.
Immer „am Puls der Zeit“ und ihren Anforderungen womöglich ein Stück voraus zu sein, war schon das Anliegen Dominikus Ringeisens. Das „Projekt Zukunftsentwicklung“ stützt sich damit auf eine lange Tradition und garantiert, daß auch den sich wandelnden Bedürfnissen behinderter Menschen immer entsprochen werden kann.
Paul Steghöfer, Öffentlichkeitsarbeit, Dominikus-Ringeisen-Werk Ursberg