Arbeitswelt 13.01.09
Sind Werkstätten öffentliche Auftraggeber?
Werkstätten sind bei Auftragsvergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand bevorzugt zu berücksichtigen. Das ist durch § 141 SGB IX unstrittig. Bei Vergabeverfahren bestehen jedoch immer noch Fragen:

  1. Dürfen Werkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden?
  2. Findet die Regelung von § 141 auch bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen Anwendung?
  3. Fallen Werkstätten, wenn sie Leistungen in Anspruch nehmen (z. B. Fahrdienste) unter die öffentlichen Auftraggeber i. S. v. § 98 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und müssen selbst - gar europaweit - ausschreiben?
Der nachfolgende Beitrag widmet sich der dritten Frage und kommt zu dem Ergebnis: Werkstätten sind keine öffentlichen Auftraggeber i. S. v. § 98 GBW.

Das ergab ein Rechtsgutachten durch eine Rechtsanwaltskanzlei (HFK Frankfurt), das der BAG WfbM vorliegt. Nachfolgend Zitate aus dem Schreiben.

Erreichen Aufträge den maßgeblichen Schwellenwert von 206.000,00 EUR netto, unterliegen sie dem EU-Vergaberegime. Öffentliche Auftraggeber müssen diese Aufträge unter Beachtung der Verfahrenspflichten der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vergeben. Die Vergabeverfahrenspflichten treffen jedoch nur die öffentlichen Auftraggeber im Sinne von § 98 GWB.

Dieser Einschätzung, dass Werkstätten nicht darunter fallen, liegt folgende rechtliche Würdigung zu Grunde:

1. Tatbestandsmerkmale des § 98 Nr. 2 GWB

Nach § 98 Nr. 2 GWB sind - im Sinne eines funktionalen Auftraggeberbegriffs - nur diejenigen juristischen Personen zur Anwendung der EU-Vergaberegeln verpflichtet, die

1. den Zweck verfolgen, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen

und

2. von einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern überwiegend finanziert werden oder diese eine qualifizierte Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans bestimmt haben.

Die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ist bei Werkstätten als Träger der öffentlichen Wohlfahrt offensichtlich und ergibt sich idealerweise aus der Satzung. Auch die nichtgewerbliche Art der Aufgabenerfüllung sollte aufgrund der Vereinssatzung zu unterstellen sein. Danach erfüllt die Werkstatt ihre Aufgaben abweichend von marktmäßigen Mechanismen, denn es fehlt bereits an der Gewinnorientierung. Die Tätigkeiten der Werkstatt werden zudem weder strikt nachfragebezogen ausgeübt, noch finden sie in einem echten Wettbewerb statt.

Dies allein genügt jedoch nicht für die Einordnung einer Werkstatt als öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB. Hinzu kommen muss eine sogenannte besondere Staatsgebundenheit der juristischen Person. Diese muss in eine besondere Beziehung zu der staatlichen Sphäre rücken, die erst die Anwendung des EU-Vergaberechts rechtfertigt. Dem Staat sind juristische Personen (also die Werkstatt ) nach § 98 Nr. 2 GWB vergaberechtlich deshalb nur dann zurechenbar, wenn ein staatlicher Einfluss auf das Auftragsvergabeverhalten der betreffenden juristischen Person gegeben sein kann. Ob dieser Einfluss finanziell - in Form einer überwiegenden Finanzierung -, personell - in Form einer mehrheitlichen Organbesetzung - oder strukturell - in Form einer Aufsicht über die Tätigkeit - vermittelt wird, spielt keine Rolle. Maßgeblich ist allein der hierdurch manifestierte Einfluss auf das Vergabeverhalten.

Eine besondere Staatsgebundenheit im vorgenannten Sinne kann aber bei den meisten Werkstätten nicht festgestellt werden.

Die Kriterien der Staatsgebundenheit:

a) Keine überwiegende staatliche Finanzierung

Das Tatbestandsmerkmal der überwiegenden staatlichen Finanzierung ist nur erfüllt, wenn mehr als 50 Prozent aller Finanzierungsbeiträge, die eine Werkstatt von Dritten erhält oder selbst aufbringt, dem Staat zuzurechnen sind. Die staatliche Finanzierung kann auch in sonstiger Weise durch Sicherstellung des laufenden Betriebes der Einrichtung erfolgen. In Betracht kommen hier die Darlehensgewährung, eine Bürgschaft oder Garantie, aber auch die unentgeltliche Personalgestellung oder kostenfreie Gebrauchsüberlassung von Liegenschaften.

Werkstätten werden nicht überwiegend „staatlich finanziert“. So werden ca. 80 Prozent aller Erlöse aus Vergütungen für Leistungen erzielt, denen eine (vertragliche) Vereinbarung zugrunde liegt, die den Leistungsaustausch in einem marktgerechten Gegenseitigkeitsverhältnis regelt (,,Ohne Leistung keine Vergütung“).

Nach der Rechtsprechung des EuGH steht ein freiwilliges gegenseitiges Verhältnis der Annahme einer überwiegenden Staatsfinanzierung entgegen. Stellt der - auch staatliche - Mittelfluss eine spezifische Gegenleistung für eine erbrachte (oder zu erbringende) Leistung dar, ist dieser nicht als Finanzierung, sondern als funktioneller Bestandteil eines marktgerechten Leistungsaustausches anzusehen.

Da eine Werkstatt zudem sämtliche Ausgaben (Personalkosten, Verwaltungs- und Betriebskosten etc.) vollumfänglich aus eigenen Einnahmen zu bestreiten hat und hierfür nicht auf sonstige staatliche Hilfen (z. B. Bürgschaften, Garantien, kostenlose Personalgestellung oder Gebrauchsüberlassung o. ä.) zurückgreifen kann, scheidet eine überwiegende Staatsfinanzierung insgesamt aus.

b) Keine Aufsicht über die Tätigkeit

Insbesondere als eingetragener Verein ist eine Werkstatt eine juristische Person des Privatrechts. Daher ist davon auszugehen, dass sie weder einer qualifizierten Rechtsaufsicht noch einer Fachaufsicht unterliegt. Dieses Tatbestandsmerkmal kann daher nicht die öffentliche Auftraggebereigenschaft nach § 98 Nr. 2 GWB begründen. Eine Aufsicht im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB liegt hierbei nur dann vor, wenn sie mit einem maßgeblichen Einfluss auf das „operative Geschäft", d. h. auf die konkreten Auftragsvergaben, verbunden ist.

c) Keine mehrheitliche Organbesetzung durch öffentliche Auftraggeber

Dieses Tatbestandsmerkmal ist nur dann erfüllt, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder eines Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber bestimmt wurde. Die Organe einer Werkstatt in der Rechtsform eines e. V. sind etwa der Vereinsvorstand (Gesamtvorstand und geschäftsführender Vorstand) und die Mitgliederversammlung.

Wenn jedoch ein kommunaler Träger in einem Vereinsorgan Mitglied ist, ist die Satzung zu prüfen, ob ihm ein mehrheitliches Besetzungsrecht zukommt oder ein Exklusivrecht für (einen oder mehrere) öffentliche Auftraggeber, die Mehrheit der Vorstandsmitglieder zu bestimmen. Fraglich bleibt allerdings, ob eine Mitgliederversammlung überhaupt als Aufsichtsorgan im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB fungiert.

I. d. R. gibt es daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Träger(verein) einer Werkstatt als öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB anzusehen ist.

Für das Nichtvorliegen einer öffentlichen Auftraggebereigenschaft einer Werkstatt ist es somit zusammenfassend Bedingung, dass die folgenden zwei Sachverhaltsannahmen zutreffen:

1. Die Trägervereine sind selbst nicht überwiegend staatlich - z. B. durch Zuschüsse - finanziert (s. Buchstabe a) und unterliegen auch keiner qualifizierten Aufsicht im oben beschriebenen Sinne (s. Buchstabe b).

2. Öffentliche Auftraggeber haben in den Mitgliederversammlungen der Trägervereine - insbesondere bei der Wahl der Vorstände - keine Mehrheit.


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