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EU will Krankheiten „ausmerzen“
Es gibt „seltene Krankheiten“. Davon spricht man, wenn sie bei höchstens 5 von 10.000 Einwohnern auftreten und 6 bis 8 Prozent der EU-Bevölkerung darunter leiden, das sind ca. 27 bis 36 Millionen Menschen. Über diese „seltenen Krankheiten“ ist zurzeit wenig bekannt, Ärzte haben wenig Erfahrung bei der Behandlung, Krankheitsverläufe und Therapiemöglichkeiten sind wenig erforscht, Standardtherapien und zugelassene Medikamente gibt es kaum. Immerhin geht man davon aus, dass man bei 5.000 und 8.000 seltenen Krankheiten von einer seltenen Erkrankung sprechen kann. Es ist also sinnvoll, dass sich die Europäische Kommission das Ziel gesetzt hat, eine Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Diagnose, Behandlung und Versorgung der EU-Bürger, die an seltenen Krankheiten leiden, zu entwickeln.

Die Maßnahmen dieser Strategie sollen:
  • seltene Krankheiten besser erkennen und ins Bewusstsein rücken,
  • nationale Pläne zur Bekämpfung seltener Krankheiten in den Mitgliedstaaten unterstützen und
  • die Zusammenarbeit und Koordinierung bei der Bekämpfung seltener Krankheiten auf europäischer Ebene stärken.
Jetzt hat die Europäische Kommission einen Vorschlag unterbreitet. Der Rat empfiehlt eine europäische Maßnahme zu den seltenen Krankheiten. Der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments hat Änderungsvorschläge unterbreitet. Konkret geht es um den Bericht, der am 31. März 2009 im Ausschluss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit beraten wurde. Dieser Bericht hat für heftige Kontroversen gesorgt.

Gegen die Stimmen der deutschen und österreichischen Christdemokraten wurde mehrheitlich ein Änderungsantrag angenommen, der in allen Unbefangenheit von „Ausmerzung“ seltener Krankheiten spricht. Das soll durch die Präimplantationsdiagnostik bei der künstlichen Befruchtung erreicht werden. Wörtlich soll den EU-Mitgliedsstaaten laut Änderungsantrag Nr. 24 nahegelegt werden, „Bemühungen zu unterstützen, um seltene Erbkrankheiten zu verhindern, die schließlich zur Ausmerzung dieser seltenen Krankheiten führen werden:
  • (a) durch genetische Beratung der als Überträger der Krankheit fungierenden Eltern und
  • (b) gegebenenfalls und unbeschadet der bestehenden nationalen Rechtsvorschriften und stets auf Freiwilligkeit beruhend - durch die Auswahl gesunder Embryos vor der Implantation.“
Die im englischen Text verwendeten Begriffe sind „eradication“ (Ausmerzung) und „selection“ (Auswahl).

Autor ist der Berichterstatter der Empfehlung, der griechische Christdemokrat Antonios Trakatellis, eigentlich ein ausgewiesener Mediziner. Eingebracht hat er die Empfehlung mit einer fraktionsübergreifenden Gruppe, zu der die niederländische Sozialdemokratin Dorette Corbey, die belgische Freidemokratin Frederique Rieu und der zyprische Sozialist Adamos Adamou gehören. Der Bericht ist rechtlich bislang noch nicht bindend, könnte aber bald in europäisches Recht münden.

In einer gemeinsamen Presseerklärung kritisierten die Europaabgeordneten Dr. Thomas Ulmer und Dr. Peter Liese (EVP-ED) den angenommenen Änderungsantrag als „völlig inakzeptabel“. Genetische Beratung dürfe nicht von politischen Zielen beeinflusst werden. „Wenn Eltern das Risiko für ein krankes oder behindertes Kind in der Familie haben, so sollen sie frei von politischem Druck entscheiden, ob sie sich für eigene Kinder oder für Alternativen entscheiden. Die Selektion von Embryonen ist völlig inakzeptabel“, so die Abgeordneten. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Mitgliedstaaten sei die Präimplantationsdiagnostik aus guten Gründen nicht erlaubt. „Es kann kein politisches Ziel sein, genetisch bedingte Erkrankungen auszurotten. Der Erfolg ist ohnehin zweifelhaft, da auch genetische Krankheiten nicht nur vererbt werden, sondern auch durch sogenannte Spontanmutationen immer wieder neu entstehen. Der politische Fokus muss auf die Hilfe für Patienten und die Behandlung von Krankheiten gelegt werden“, so Liese und Ulmer. Den Patienten, die an seltenen Erkrankungen leiden, sei ein „Bärendienst“ erwiesen worden. „Die Initiative der Europäischen Kommission ist eigentlich unterstützenswert. Durch den unsäglichen Antrag kommt in das Thema eine Kontroverse, die der Sache nicht gut tut“, erklärten die beiden Abgeordneten.

Die in den Unionsparteien tätige Initiative „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), kritisierte, dass in dem Beschluss, der gegen die Stimmen von Unionsabgeordneten gefasst wurde, unverhohlen von einer Selektion von Embryos gesprochen werde. „Offensichtlich gehen die Abgeordneten davon aus, dass diese genetisch bedingten Krankheitsbilder durch eine entsprechend frühe Diagnostik zu selektieren und damit „vermeidbar“ sind. Die Parlamentarier ignorieren dabei völlig, dass nicht etwa eine Krankheit, sondern jeweils ein ungeborener Mensch selektiert wird. Dies offenbart in erschreckender Weise, dass der Lebensschutz generell, jedoch insbesondere der Schutz möglicher Kranker und Behinderter, beim Europäischen Parlament denkbar schlecht aufgehoben ist“, erklärte die CDL-Bundesvorsitzende Mechthild Löhr. Wenn die Lebensrechte Ungeborener auf diese Weise europaweit relativiert und einer gesundheitsökonomischen Bewertung unterworfen werden sollen, sei dies die denkbar schlechteste „Werbung“, die Parlamentarier vor der Europawahl am 7. Juni für sich machen können, so Löhr.

Besonders erschreckend ist, dass die Parlamentarier aus dem Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit auch die „erheblichen Kosten“ der Behandlung seltener Erkrankungen als Grund für die Ausrottung dieser Krankheiten nennen. Nach dem Motto: „Was zu viel kostet, muss beseitigt werden!“

Bertold Brecht schrieb einmal: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“...


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