Am 29. Juni tagte der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Einziger Tagesordnungspunkt war der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Gesamtkonzept zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen“ (BT-Drucksache 16/11207) . Ralf Hagemeier aus dem Vorstand der BAG WfbM war als Sachverständiger geladen. Im Vorfeld hatte die BAG WfbM eine schriftliche >> Stellungnahme abgegeben.
Vorsitz hatte der voraussichtlich mit der Bundestagswahl aus dem Parlament ausscheidende Gerald Weiß (CDU/CSU). „Man muss in vollem Umfang unterstützen, dass Menschen auch außerhalb von Werkstätten eine Förderung durch das Persönliche Budget genießen können“, sagte etwa Jürgen Spatz von der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Ralf Hagemeier, BAG WfbM, wies auf die unterschiedlichen Personenkreise in den Werkstätten hin und warb dafür, den sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als das Allheilmittel anzusehen. „Ein wesentlicher Teil ist auf Dauer in den Werkstätten, ich denke, das sollte bei allem Bemühen um den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht diskreditiert werden.“ Menschen, die die Teilhabe über die Assistenzleistung Werkstatt bedürfen, bräuchten nicht das Gebäude Werkstatt, sondern die Assistenzleistung einer Werkstatt und das Konzept. Die BAG WfbM hatte in ihrer >> Stellungnahme darauf hingewiesen, dass nicht übersehen werden sollte, dass zahlreiche behinderte Menschen ausdrücklich den Wunsch haben, durch Institutionen unterstützt zu werden. „Ohne Einrichtungen ist derzeit eine bedarfsgerechte Versorgung nicht denkbar. Will der Staat beispielsweise den Menschen, die wegen Art oder Schwere nicht, noch nicht oder noch nicht wieder erwerbstätig sein können, eine Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen, benötigt er eine Struktur. Diese Struktur erhält er durch die Schaffung von Einrichtungen und Diensten. Folglich muss er seine Leistungen institutionalisieren. Jegliche Art von Unterstützung braucht fachliche Organisation“ heißt es wörtlich.
Dr. Wuttke von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erklärte, man dürfe nicht verkennen, dass die Beschäftigungssituation für schwerbehinderte Menschen entscheidend mit determiniert würde von der allgemeinen Arbeitsmarktlage. „Man braucht vor allen Dingen für Betriebe ein professionelles Hilfeinstrument.“ Es bedürfe der professionellen Unterstützung. Vordergründig würden zu schnell Instrumente einer gesetzlichen Rahmengesetzgebung so käme es oft zu Überregulierungen.
Bernd Finke sprach für die überörtlichen Träger der Sozialhilfe und warb für Angebote im Sinne von Wunsch- und Wahlrecht. Eine Öffnungsklausel in den Vorschriften zu den Werkstätten müsse „natürlich auch Qualitätsansprüche“ berücksichtigen.
Andreas Bollmer, Bundesvereinigung der Werkstatträte, sprach von mangelnden Erfahrungen und Befürchtungen der „Betroffenen“. Fehlende Assistenz sei ein Haupthinderungsgrund. „Es ist schön, Wunsch- und Wahlfreiheit zu haben, aber man braucht da auch ein gewisses Korsett, woran man sich ausrichten kann.“ Und: „Wir brauchen wir vor allen Dingen Verbündete. Also, auch die Verbände der Wohlfahrtspflege und alle, die hier sitzen, sollen mehr zusammenarbeiten und die Betroffenen mehr einbinden und ihnen zuhören und den Mut haben, zu sagen, warum funktioniert das jetzt z. B. mit dem persönlichen Budget nicht so, wie es gewollt ist?“
Dr. Wuttke : „Das beste Lernen findet immer aus dem praktischen Beispielsfall statt.“ Er wehrte sich gegen „Vorurteile der Arbeitgeber“. Generell ginge es um die Gesellschaft, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer. „Eingliederung, Integration, gemeinsames Miteinanderleben und Arbeiten muss frühzeitig gelernt werden.“ Er hält eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe für kontraproduktiv. Insbesondere „in der Situation, wo die Pflichtarbeitsplätze jetzt schon ohnehin weit die Zahl der Arbeitslosen übersteigen.“
Jürgen Dürrschmidt erklärte. „Die Monopolstellung der Behindertenwerkstätten muss aufgelöst werden.“ Menschen mit Behinderung seien keine Bittsteller zur Zeit aber Taschengeldempfänger.
Marlis Kawohl aus Bremen meinte, dass man Werkstätten als positive Möglichkeit oder positive Instanz sehen sollte, mit ihrem gesamten seit vielen Jahren erworbenen Know How. Man sollte die vorhandenen Strukturen nutzen, um auch ambulante Angebote zur Verfügung zu stellen.
Der Antrag der Grünen stieß im Bundestag dann bei den übrigen Fraktionen auf grundsätzliche Zustimmung. Dennoch lehnten sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die FDP im Ausschuss für Arbeit und Soziales am Mittwochmorgen den Grünen-Antrag ab und verwiesen zu Begründung auf verschiedene Detailfragen. Unterstützung erhielten die Grünen von der Fraktion Die Linke, die dem Antrag zustimmte.
Die Grünen betonten noch einmal, dass die Akteure in diesem Feld den Kernpunkten des Antrags eine große Aufmerksamkeit entgegen gebracht hätten. Dies hätte die öffentliche Anhörung am 29. Juni gezeigt. Nun müsste es darum gehen, „denjenigen, die sich auf den Weg machen wollen, mit in den Prozess einzubinden“, hieß es von Seiten der Grünen. Die Fraktion hoffe, dass es in der nächsten Legislaturperiode entscheidende Schritte in diese Richtung geben werde.
Die FDP-Fraktion stellte fest, der Antrag greife wichtige Aspekte auf. Dazu gehören zum Beispiel die Unübersichtlichkeit der verschiedenen Förderinstrumente und die flexiblere Nutzung des Persönlichen Budgets. Ihre Ablehnung des Antrags begründeten die Liberalen aber mit der ihrer Meinung nach zu starken Fokussierung auf das Antidiskriminierungsgesetz. Dieses sei gerade für kleine Betriebe schwierig umzusetzen und erweise sich darum oft als Einstellungshemmnis.
Die SPD bezeichnete den Antrag ebenfalls als „grundsätzlich gut“, verwies jedoch auf den noch nicht abgeschlossenen Prozess der Reform der Eingliederungshilfe. Diesen wolle man erst abwarten. Die Sozialdemokraten unterstrichen die Bedeutung der inklusiven Bildung, wie sie die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen fordere. In der kommenden Legislaturperiode werde man hoffentlich einen „richtig guten Aktionsplan“ zur Umsetzung der Konvention erarbeiten, hieß es weiter.
Die Unionsfraktion kritisierte unter anderem die geforderte Gleichstellung von nicht-werkstattfähigen Menschen mit produktiv tätigen Werkstattmitarbeitern. Dies sei das „falsche Signal“. Außerdem würde der Antrag die „vielen guten Maßnahmen“ verschweigen, die die Große Koalition bereits umgesetzt hätte, wie zum Beispiel die „Unterstützte Beschäftigung“.
Die Linksfraktion stimmte dem Antrag zu, weil man „endlich zur Tat schreiten müsse“. Inklusive Bildung aber auch inklusive Beschäftigungsstrukturen in Unternehmen müssten vorangebracht werden. Da das Prinzip der Freiwilligkeit da nicht ausreiche, seien gesetzliche Regelungen nötig, forderte die Linksfraktion.
Die von den Verbänden, Institutionen und Einzelsachverständigen abgegebenen Stellungnahmen liegen mit der Ausschuss-Drucksache 16(11)1442 vor. Alle Dokumente finden Sie unter www.bundestag.de .