Im Folgenden veröffentlichen wir den Wortlaut der Stellungnahme der DVfR:
Heidelberg, 9.1.2013
REHABILITATION bietet die Chance zur Bewältigung aktueller sozialpolitischer HerausforderungenSehr geehrte Damen und Herren,
der im September 2013 zu wählende 18. Bundestag wird sich stärker als bisher mit sozialen und ressourcenökonomischen Herausforderungen befassen müssen, denn deren Bewältigung ist mittelfristig entscheidend für Zusammenhalt und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind mit dem demographischen Wandel großen Veränderungen unterworfen. Insbesondere muss mit einer Zunahme von chronischen Krankheiten und Behinderungen, mit Fachkräftemangel trotz längerer Lebensarbeitszeit, mit Pflegenotstand und Kostendruck in der Eingliederungshilfe gerechnet werden. Gleichzeitig hat Deutschland sich durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, das Menschenrecht auf Teilhabe und Inklusion behinderter Menschen umzusetzen.
Die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) möchte Ihnen die Überzeugung nahe bringen, dass REHABILITATION als ganzheitliches umfassendes Konzept der Teilhabesicherung zur Lösung der genannten gesellschaftlichen Herausforderungen ganz wesentlich beitragen kann.
Und wir möchten Sie dafür gewinnen, in Ihrem Programm für die Bundestagswahl 2013 und die nächste Legislaturperiode konkrete Entwicklungsschritte zu Rehabilitation, Teilhabe und Inklusion in folgenden wichtigen Bereichen zu verankern:
1. Rehabilitation macht unabhängiger von Sozialleistungen
Der Bedarf an Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens steigt mit zunehmendem Lebensalter an. Qualifizierte Rehabilitationsangebote dienen dem Erhalt oder der Wiederherstellung von Selbstbestimmung und Teilhabe der Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen und versetzen sie in die Lage, ihr Leben selbständig nach eigenen Vorstellungen und unabhängiger von Sozialleistungen zu gestalten. Die Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten muss deshalb teilhabeorientiert ausgestaltet werden.
2. Rehabilitation erhält die Beschäftigungsfähigkeit zur Deckung des Fachkräftebedarfs
Gerade unter den Bedingungen der „Rente mit 67“ und des absehbaren Fachkräftemangels muss Rehabilitation eingesetzt werden, um die Beschäftigungsfähigkeit arbeitender Menschen auch bei gesundheitlichen Einschränkungen zu erhalten. Medizinische und berufliche Rehabilitation müssen hierfür sinnvoll miteinander verzahnt werden. Auch bei jüngeren Menschen mit Behinderung sind individuell ausgerichtete berufliche Rehabilitationsleistungen und insbesondere eine gute Erstausbildung der beste Weg, ihnen einen Platz im Erwerbsleben zu sichern. Ein leistungsfähiges System der beruflichen bzw. medizinisch-beruflichen Rehabilitation muss vorgehalten (und finanziert) werden. Auch die Betriebe selbst können zur Verwirklichung eines inklusiven Arbeitsmarkts beitragen.
3. Rehabilitation älterer pflegebedürftiger Menschen stärkt die Selbstbestimmung und Teilhabe und unterstützt die Pflege
Pflegebedürftigkeit ist kein Ausschlussgrund für teilhabefördernde Rehabilitationsleistungen, die dazu dienen, Umfang und Ausmaß von Pflegeabhängigkeit zu reduzieren und die Pflege zu erleichtern. Ziel ist es auch, die Teilhabe durch den Verbleib in der eigenen Wohnung trotz Pflegebedürftigkeit zu sichern und zu einer möglichst großen Selbständigkeit in der eigenen Lebensführung, auch in Pflegeeinrichtungen, beizutragen. Fehlen solche teilhabeorientierten Angebote, werden die knappen Dienstleistungsressourcen im Gesundheits- und Pflegewesen quantitativ zu stark beansprucht werden.
Vorsorge und Rehabilitation dienen auch dazu, soziale Netzwerke bzw. Angehörige, die Menschen mit Behinderung versorgen, zu unterstützen. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Hilfs- und Pflegebereitschaft und die Pflegekompetenz der Angehörigen und Bezugspersonen zu fördern, zu unterstützen und auf Dauer zu erhalten.
4. Rehabilitation stärkt die finanzielle Handlungsfähigkeit der Sozialsysteme und der Kommunen
Die sachgerechte und fiskalisch tragfähige Neuordnung der Eingliederungshilfe kann erreicht werden, wenn Menschen mit Behinderungen im Bereich der Eingliederungshilfe systematisch Zugang zu für sie geeigneten Rehabilitationsleistungen erhalten und die Eingliederungshilfe selbst auf die Förderung der Teilhabekompetenzen mit den Mitteln der Rehabilitation ausgerichtet wird. Diese Leistungen müssen von jeder Anrechnung des privaten Vermögens betroffener Menschen freigestellt sein. Solche Leistungen können Unterstützungsbedarfe auf Dauer verringern.
5. Rehabilitation wird sozialraumorientiert gestaltet, der Zugang ermöglicht
Es ist die Aufgabe des sozialen Rechtsstaats dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Rehabilitationsangebote sozialraumorientiert vorhanden sind. Durch verbesserte wohnortnahe Beratung, umfassende Feststellung individueller Teilhabebedarfe und Vernetzung der Unterstützungsleistungen muss für alle Menschen mit Rehabilitationsbedarf der Zugang zu den für sie notwendigen Rehabilitationsleistungen sichergestellt werden.
Die Servicestellen für Rehabilitation müssen zu echten bürgernahen trägerübergreifenden Beratungsstellen ausgebaut und mit anderen Beratungsangeboten vernetzt werden.
Bei Bedarf soll Case-Management vor Ort dazu beitragen, Schnittstellen im Versorgungssystem zu überwinden und die jeweils erforderlichen medizinischen, beruflichen, pädagogischen, sozialen und Assistenz-Leistungen teilhabefördernd zusammenzuführen.
6. Das Recht der Rehabilitation und Teilhabe wird weiterentwickelt und umgesetzt
Rehabilitation ist (nach UN-BRK Art. 26) eine Querschnittsaufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte. Die verantwortlichen Sozialleistungsträger bilden mit den Kommunen, Arbeitgebern, Bildungsträgern, Anbietern von Gesundheitsleistungen und anderen Partnern sowie mit den Menschen mit Behinderungen regionale Rehabilitations-/Teilhabe-Netzwerke (Arbeitsgemeinschaften), um regionale bzw. Sozialraum orientierte Programme, Strukturen und Leistungen der Teilhabeförderung zu entwickeln.
Das Recht der Rehabilitation und Teilhabe (SGB IX) muss bedarfsgerecht auf der Basis einer gründlichen Evaluation weiterentwickelt werden. Maßstab für notwendige Veränderungen im Sozialrecht insgesamt ist die umfassende Sicherstellung der Rechtsansprüche behinderter Menschen und die Konformität mit der UN-Behindertenrechtskonvention.
7. Menschenrecht ist Maßstab für die nationale Behinderten- und Sozialpolitik
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtete sich Deutschland, eine inklusive Gesellschaft zu gestalten, die für Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens (Gesundheit, Bildung, Wohnen, Arbeit, Verkehr, Kommunikation, Kultur und nicht zuletzt auch politische Mitgestaltung u.a.) gewährleistet. Dazu müssen für die Betroffenen kontinuierlich Barrieren abgebaut und Zugangshindernisse zur Rehabilitation zügig beseitigt werden. Dem Bekenntnis zu einem solchen Prozess der gesellschaftlichen Erneuerung müssen sichtbare Taten, d. h. für die Politik: praktikable Regelungen und Umsetzungsprogramme, folgen.
Die Stärkung der Rehabilitation trägt maßgeblich dazu bei, sozialstaatliches Handeln für die Menschen sichtbar und erfahrbar zu machen. Wir erwarten von den politischen Parteien in Deutschland, dass sie die Bedeutung der Rehabilitation in der Gesellschaft deutlicher als bisher artikulieren. Die DVfR wird Sie dabei nach Kräften unterstützen und bietet Ihnen jederzeit zu diesen Themen das vertiefende und konkretisierende Gespräch an.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann
Vorsitzender der DVfR
Quelle: http://www.dvfr.de/nc/startseite/single-news-aus-den-spt/artikel/stellungnahme-der-dvfr-zur-rehabilitation-als-chance-zur-bewaeltigung-aktueller-sozialpolitischer-he/