der Mitglieder des Präsidiums
der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V.
(Beschluß vom 27. Februar 2003)
Die Teilhabe am beruflichen Leben auch für voll erwerbsgeminderte Erwachsene sichern
Das Präsidium der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG WfbM) wendet sich mit dieser Erklärung an
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den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Gerhard Schröder,
die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Frau Ulla Schmidt,
den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Herrn Wolfgang Clement und
den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der behinderten Menschen, Herrn Karl-Hermann Haack.
- Das Präsidium der BAG WfbM sieht in den derzeit vorbereiteten Entscheidungen und Maßnahmen zur Eingliederung behinderter Arbeitnehmer ins Erwerbsleben und zur Novellierung der Ausgleichsabgabenverordnung eine zu einseitig auf die Aufnahme einer Erwerbsarbeit ausgerichtete und deshalb zu kurz greifende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
- Leistungen zur Eingliederung, auch aus Mitteln des Ausgleichsfonds, sollen statt dessen nicht nur auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gerichtet sein und für erwerbswirtschaftliche Arbeitgeber erbracht werden. Vielmehr müssen die Leistungen auch den schwerbehinderten Bevölkerungsgruppen zugute kommen, die andere, geschützte Formen der Teilhabe am Arbeitsleben benötigen. Das schließt die Sicherung der bewährten Eingliederungs- und Teilhabeleistungen in den beruflichen Bildungs- und Fördereinrichtungen unbedingt mit ein.
- Mit dem bundesweiten Werkstättennetz steht den behinderungsbedingt voll erwerbsgeminderten Erwachsenen ein effizientes Eingliederungsangebot zur Verfügung. Den über 200.000 behinderten Beschäftigten und den Zehntausenden von Anspruchsberechtigten in den kommenden Jahren müssen die staatlichen Leistungen gleichrangig, auch aus dem Ausgleichsfonds, gesichert werden. Der weiter entwickelte Teilhabeanspruch des SGB IX auch für dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen darf deshalb nicht hinter dem Eingliederungsanspruch schwerbehinderter Arbeitnehmer zurückstehen. Vielmehr muß es darum gehen, die Leistungen der Integrationsfachdienste und projekte, die die Eingliederung von arbeitslosen schwerbehinderten Arbeitnehmer|inne|n auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zum Ziel haben, gleichrangig um die Förderung von voll erwerbsgeminderten Erwachsenen zu ergänzen, die auf institutionelle Hilfe in Einrichtungen angewiesen sind.
- Das Präsidium der BAG WfbM hält es darum für dringend geboten, die Mittel des Ausgleichsfonds in der Verantwortung und Verwaltung der Bundesregierung zu belassen und dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung die Planungs- und Lenkungsautorität zu sichern. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, daß Länderentscheidungen oft einer kurzfristigen finanz- und haushaltspolitischen Opportunität unterworfen werden. Die Übertragung des größten Teils der Ausgleichsfondsmittel auf die Bundesländer ist keine Gewähr für eine bundesweit gleichwertige und vergleichbare Entwicklung der Einrichtungen.
- Die gegenwärtigen drastischen Einsparmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit gefährden die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Werkstätten und die Verwirklichung ihrer fachlichen Anforderung. Sie sind mit den Beteiligten und ihren Organisationen nicht beraten und schon gar nicht abgestimmt worden. Die Leistungsverweigerung der Bundesanstalt für Arbeit bewerten wir zudem als rechtswidrig. Die Verfahrensweise der Leitung der Bundesanstalt für Arbeit ist für das bundesweite erfolgreiche System der beruflichen Förderung und Eingliederung zerstörerisch. Sie gefährdet die finanzielle Basis der beruflichen Eingliederungsleistungen auch der Werkstätten und hat bereits zu einem beträchtlichen Vertrauensschwund in die Gesetzestreue der Bundesanstalt geführt
- Die Bundesanstalt für Arbeit verweigert u.a. die Auszahlung von investiven Fördermitteln, obwohl die Fördermaßnahmen landes- und bundespolitisch abgestimmt und beschlossen worden sind. An diesem Abstimmungs-, Planungs- und Beschlußprozeß waren die Bundesanstalt für Arbeit und die jeweiligen Landesarbeitsämter stets beteiligt. Die Mittelverweigerung der Bundesanstalt für Arbeit fällt deshalb besonders ins Gewicht, weil von ihrer Finanzierung unmittelbar die Bereitstellung der Mittel der übrigen finanzierenden Stellen - Bundes- und Ländermittel des Ausgleichsfonds -abhängen. Die Bundesanstalt für Arbeit blockiert auf diese Weise Fördermittel im Gesamtvolumen von über 380 Millionen Euro, obwohl sie selbst i.d.R. nur ein Zehntel davon bereitstellt und das auch nur als Darlehen.
- Landesarbeitsämter versagen den Werkstattbeschäftigten aufgrund der restriktiven Finanzpolitik ihrer Hauptstelle rechtswidrig das verpflichtende zweite Förderjahr im Berufsbildungsbereich und lehnen die Aufnahme anspruchsberechtigter behinderter Sonderschulabgänger in das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich der Werkstätten ab.
Das Präsidium der BAG WfbM hält eine solche Politik, die sich gegen die Interessen der behinderten Menschen und ihren Rechtsanspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben richtet, für außerordentlich problematisch. Es ist gerade im "Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen" eine falsche Schwerpunktsetzung. Die Bundesregierung wird darum nachdrücklich gebeten,
- rasch, wirkungsvoll und nachhaltig auf die in den Ministerien und bei der Bundesanstalt für Arbeit Zuständigen politischen Einfluß zu nehmen und Fehlentscheidungen zu korrigieren,
- dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung entsprechend dem Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 22.10.2002 die Rechtsaufsicht über die Bundesanstalt für Arbeit in Bezug auf die Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben unverzüglich zu übertragen,
- die finanzielle Gefährdung der Werkstätten durch rechtswidrige Entscheidungen und Verhaltensweisen der Verantwortlichen in der Bundesanstalt für Arbeit unverzüglich abzuwenden,
- die berufliche Rehabilitation aller schwerbehinderten Menschen als einen der geschäftspolitischen Schwerpunkte der Bundesanstalt für Arbeit zu garantieren,
- die beabsichtigte Veränderung bei der Verwaltung und Vergabepraxis des Ausgleichsfonds so zu korrigieren, daß das in drei Jahrzehnten gemeinsam geschaffene Werkstättennetz auch zukünftig dauerhaft und bedarfsgerecht gesichert wird,
- die Planungs- und Steuerungsverantwortung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zu erhalten und dem Wunsch der Länder nach Übernahme des größten Teils der Ausgleichsabgabe nicht nachzugeben,
- die Leistungen zur Eingliederung schwerbehinderter und arbeitsloser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Erwerbsleben gleichrangig neben die zur Teilhabe schwerbehinderter und voll erwerbsgeminderter Erwachsener in geschützten Einrichtungen zu stellen,
- die Ziele und Leistungsverpflichtungen des SGB IX, des SGB III und des BSHG für die voll erwerbsgeminderten Beschäftigten in den Einrichtungen nicht geringer zu achten als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die BAG WfbM ist nach wie vor bereit, mit den zuständigen Fachleuten in den Ministerien und gemeinsam mit dem Beirat für die Belange behinderter Menschen nach geeigneten neuen Finanzierungsmodellen und Einsparmöglichkeiten zu suchen, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, ohne die gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Verpflichtungen zu verletzen.
Günter Mosen
Vorsitzender