Politik 24.01.20
Umsatzsteuersatz: Verfassungsbeschwerde gegen BFH-Urteil
Gegen die Umsatzsteuer-Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) hat der betroffene gemeinnützige Verein am 20. Dezember 2019 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. In dem Urteil vom 23. Juli 2019 (XI R 2/17) hatte der XI. Senat entschieden, dass das Bistro des gemeinnützigen Vereins nicht automatisch Anspruch auf den ermäßigten Umsatzsteuersatz hat (siehe Bericht vom 02.12.2019).

Wegen der grundlegenden Bedeutung des BFH-Urteils wird die Verfassungsbeschwerde von der BAG WfbM und der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen unterstützt.

Hintergrund
Der gemeinnützige Verein – vertreten durch die Sozietät Flick Gocke Schaumburg – rügt, dass der BFH es bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des deutschen Umsatzsteuerrechts unterlassen hat, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Damit könnte der BFH das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter verletzt haben (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes).

Der BFH hat in seinem Urteil die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf entgeltliche Leistungen eines Zweckbetriebes verneint, bei deren Erbringung Menschen mit Behinderungen mitgewirkt haben. Er stellt allein auf die Bedürftigkeit der Leistungsempfänger*innen, im entschiedenen Fall also auf die Bedürftigkeit der Bistrobesucher*innen ab.

Der klagende Verein vertritt die Auffassung, dass Kund*innen durch den ermäßigten Umsatzsteuersatz dazu bewegt werden sollen, Leistungen bei gemeinnützigen Trägern von Wohlfahrtseinrichtungen zu beziehen, um den Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen und ihr Einkommen selbst zu erzielen.

Potenzielle Auswirkungen
Auch wenn es sich in diesem Fall nicht um einen anerkannten gemeinnützigen Inklusionsbetrieb oder eine anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen handelt, kann das Urteil des BFH weitreichende negative Folgen für diese und andere Einrichtungen der Wohlfahrtspflege haben.

Es ist zu befürchten, dass die sozialrechtliche Argumentation aufgegeben wird, nach welcher der ermäßigte Umsatzsteuersatz als Nachteilsausgleich fungiert und somit Sozialunternehmen überhaupt erst ermöglicht, am Wettbewerb teilzunehmen. Die Teilhabe am Arbeitsleben und die inklusive Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen kann nur dann erfolgen, wenn eine Nähe zum Markt besteht und am Wettbewerb teilgenommen werden kann.

Die Marktteilnahme von Werkstätten, Inklusionsbetrieben und ähnlichen Einrichtungen erfolgt nicht, um als Zweckbetrieb Umsatz zu generieren, sondern in Ausübung der eigentlichen Aufgabe, die Teilhabe am Arbeitsleben und die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.

BAG WfbM sucht politischen Dialog
Die BAG WfbM nimmt diese aktuellen rechtlichen Entwicklungen ernst und ist bereits mit den politischen Akteuren, zahlreichen Verbänden sowie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem BMF in Kontakt getreten.

Bis zu einer Veröffentlichung durch die Finanzverwaltung im Bundessteuerblatt oder einer Änderung der einschlägigen Regelungen im Anwendungserlass zur Abgabenordnung geht die BAG WfbM derzeit davon aus, dass die neue Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung nicht angewandt wird.

Die BAG WfbM wird ihre Mitglieder über aktuelle Entwicklungen informieren.
Die Verfassungsbeschwerde im Wortlaut finden Sie hier.


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