Stellungnahmen 23.04.21
BAG WfbM zu aktuellen Medienberichten über Werkstätten für behinderte Menschen
Zurzeit gibt es verstärkt Falsch-Informationen über die Arbeit und Ausrichtung der Werkstätten für behinderte Menschen. Der Fokus liegt hierbei auf der Entgeltsituation der Werkstattbeschäftigten.
Diese alternativen Fakten und verkürzten Darstellungen lassen wir nicht unwidersprochen.
Viele seriöse Medien nehmen sich des Themas an – das begrüßen wir sehr. Da diese Medien oftmals aus Platz- und Sendezeitgründen nicht vollumfänglich berichten können, möchten wir hier unsere ausführlichen Antworten auf die zurzeit kursierenden Behauptungen darstellen.

Vorab ein paar allgemeine, einführende Informationen zu Werkstätten für behinderte Menschen:
Werkstätten für behinderte Menschen sind hochspezialisierte Einrichtungen der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit schweren Behinderungen. In über 2.900 Betriebsstätten bieten sie Berufliche Bildung, Arbeit sowie Unterstützung in der persönlichen Entwicklung.
Derzeit sind mehr als 320.000 Erwachsene in den Mitgliedswerkstätten der BAG WfbM beschäftigt. Davon nehmen knapp 30.000 Menschen Leistungen der Beruflichen Bildung in Anspruch und fast 270.000 erhalten Arbeits- und Berufsförderung. Dabei sind etwa 20.000 Menschen so schwer behindert, dass sie einer besonderen Betreuung, Förderung und Pflege bedürfen.
Werkstätten beschäftigen rund 70.000 spezialisierte Fachkräfte. Die BAG WfbM ist der Zusammenschluss der Träger von Einrichtungen, die Menschen mit Behinderungen Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft ermöglichen. Die rund 700 Mitglieder der BAG WfbM sind Träger von Werkstätten, Förderstätten und Inklusionsbetrieben.

Thema Arbeitsentgelt: 
Es wird behauptet, dass Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt (WfbM) durchschnittlich 1,35 Euro pro Stunde verdienen, das sind bei einer gesetzlich geregelten Mindestarbeitszeit von 35 Wochenstunden lediglich 189 Euro im Monat.
Die BAG WfbM dazu: Dies ist eine unvollständige Betrachtung. Die Werkstätten zahlen an die im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen ein Arbeitsentgelt. Es setzt sich zusammen aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften leistet, und einem Steigerungsbetrag. Die Höhe des Grundbetrages beträgt seit dem 01.01.2021 mindestens 99 Euro. Jede Werkstatt hat eine Entgeltordnung. Diese regelt die Verteilung der Entgelte und legt fest, wie sich der leistungsangemessene Steigerungsbetrag bemisst. 

Bei der Aufstellung und Änderung der Entgeltordnungen sowie der Festsetzung der Steigerungsbeträge hat der Werkstattrat (die gewählte Vertretung der Werkstattbeschäftigten) ein Mitbestimmungsrecht.
Grundbetrag und Steigerungsbetrag werden aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Werkstätten finanziert. Werkstätten müssen Erträge, die sie über Produktions- und Dienstleistungsaufträge erwirtschaften, an die Beschäftigten ausschütten: zu mindestens 70 Prozent unmittelbar, der Rest kann in Rücklagen fließen, die aber wiederrum den Beschäftigten zugutekommen müssen. 

Hinzu kommt zum Entgelt ein von der öffentlichen Hand finanziertes Arbeitsförderungsgeld. Dieses beträgt derzeit 52 Euro. Das durchschnittliche monatliche Arbeitsentgelt betrug im Jahr 2019 206,95 Euro inkl. Arbeitsförderungsgeld.

Die Arbeit in Werkstätten ist mit einer Erwerbsarbeit in Vollzeit nicht direkt zu vergleichen, da die Werkstatt weitere Leistungen wie beispielsweise unterschiedliche Pflegetätigkeiten, Ergo- und Physiotherapie etc. abhängig vom behinderungsbedingten Unterstützungsbedarf der einzelnen Menschen erbringt. Des Weiteren werden sogenannte arbeitsbegleitende Maßnahmen, die die Beschäftigten auch während der Arbeitszeit in Anspruch nehmen, angeboten. Die arbeitsbegleitenden Maßnahmen dienen der Persönlichkeitsentwicklung sowie der ganzheitlichen Gesundheitsförderung der Menschen mit Behinderungen und der sozialen Eingliederung. Sie umfassen zahlreiche Angebote der Bildung, Qualifizierung und aus dem Kultur- und Sportbereich.

Zusätzlich erhalten Menschen mit Behinderungen, die neben dem Werkstattentgelt kein anderes Einkommen haben, staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt, z. B. Zuschüsse zu Mietzahlungen, Pflegedienstleistungen, Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung.

Thema Mindestlohn:
Es wird behauptet, dass Lohn nicht vorrangig Geld sei, sondern Teilhabe, der Lohn sei, dass man überhaupt arbeiten und für andere Gewinn machen dürfe. 
Die BAG WfbM dazu: Diese Aussage teilt die BAG WfbM nicht. Denn für die Wirkung von Teilhabe an Arbeit ist es zentral, bei den Beschäftigten die Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit zu fördern, indem ihre Leistungen anerkannt und wertgeschätzt werden. Und eine wesentliche Form der Anerkennung für geleistete Arbeit ist das Arbeitsentgelt.

Die BAG WfbM begrüßt alle Initiativen, die zu einer spürbaren und nachhaltigen Verbesserung der Entgeltsituation von Werkstattbeschäftigten beitragen. 

Die derzeitige Gestaltung des gesetzlichen Systems ermöglicht es nicht, dass Werkstätten ohne Gesetzesänderungen und weitere staatliche Unterstützungen die Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten umfassend verbessern können. 

Die BAG WfbM fordert seit mehreren Jahren eine Verbesserung der Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten. Im Jahr 2019 gab es einen Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD im Rahmen des Gesetzes zur Anpassung der Berufsausbildungsbeihilfe und des Ausbildungsgeldes. Er beinhaltet den Vorschlag, „innerhalb von vier Jahren unter Beteiligung der Werkstatträte, der BAG WfbM, der Wissenschaft und weiterer maßgeblicher Akteure zu prüfen, wie ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem entwickelt werden kann“ (siehe auch Bundestags-Drucksache 19/10715). 

Die BAG WfbM ist in der dazu eingerichteten Steuerungsgruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vertreten. Das BMAS hat eine Studie in Auftrag gegeben. Eine Arbeitsgemeinschaft aus ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH und infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH in Kooperation mit Prof. Dr. Felix Welti und Prof. Dr. Arnold Pracht wurde mit dem Forschungsvorhaben beauftragt. Aufgrund der Komplexität des bestehenden Systems ist es äußerst wichtig, auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen zu können. 

Bei einer Reform des Entgeltsystems müssen die derzeit geltenden Regelungen in den unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern, die Werkstattbeschäftigte betreffen, genau überprüft werden. Es darf nicht unbeabsichtigt zu einer Schlechterstellung der Menschen mit Behinderungen kommen. Bei der Betrachtung der Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten müssen alle möglichen Bestandteile des individuellen Einkommens berücksichtigt werden. Hierzu zählen das Arbeitsentgelt, Sozialversicherungsbeiträge, Rentenansprüche und staatliche Transferleistungen wie die Grundsicherung, Wohngeld oder Kindergeld sowie weitere behinderungsbedingte Mehrbedarfe. 
Der alleinige Ruf nach der Einführung des Mindestlohns in Werkstätten greift zu kurz, um eine umfassende Verbesserung der Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten zu bewirken. Vielmehr muss eine detaillierte Betrachtung der geltenden Regelungen in den Sozialgesetzbüchern erfolgen, um ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für Werkstattbeschäftigte zu schaffen. 

Menschen mit Behinderungen im Arbeitsbereich der Werkstätten sind in der Regel in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Das heißt, sie haben alle Schutzrechte von Arbeitnehmer*innen, aber nicht deren Pflichten. So haben sie z. B. Anspruch auf Urlaub, Mutterschutz oder das Recht auf Teilzeit. Sie können jedoch nicht gekündigt oder abgemahnt werden und sie haben keine Leistungsverpflichtung, wie es sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt. 

Aufgrund des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses haben Werkstattbeschäftigte derzeit keinen Anspruch auf Mindestlohn. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen setzt sich bereits seit mehreren Jahren für eine spürbare und nachhaltige Verbesserung der Entgeltsituation von Werkstattbeschäftigten ein. Die derzeitige Gestaltung des gesetzlichen Systems ermöglicht es nicht, dass Werkstätten ohne Gesetzesänderungen und weitere staatliche Unterstützungen die Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten umfassend verbessern können.

Thema Wirtschaftlichkeit: 
Es wird behauptet, dass Werkstätten einen jährlichen Umsatz von acht Milliarden Euro machen.
Die BAG WfbM dazu: Die Darstellung über die Umsätze der Werkstätten ist undifferenziert. Laut einer Statistik der Deutschen Rentenversicherung betrug die Gesamtsumme der von den Menschen mit Behinderungen im Jahr 2019 tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte in Werkstätten ca. 738 Millionen Euro. Dem gegenüber standen im gleichen Jahr ca. 297.000 Menschen im Arbeitsbereich der Werkstätten, an die ein Werkstattentgelt ausgezahlt wurde. Hieraus resultiert ein durchschnittliches Arbeitsentgelt von ca. 207 €.

Die Zahl 8 Milliarden Euro stammt aus einer von der BAG WfbM und ihren Mitgliedern in Auftrag gegebenen Studie zum Social Return on Investment von Werkstätten (aus dem Jahr 2014). In der Studie wurde berechnet, dass Werkstätten jährlich einen Gesamtumsatz von rund 8 Milliarden Euro erzielen. 

Der Umsatz ist allerdings nicht gleich dem Gewinn/Arbeitsergebnis aus wirtschaftlicher Tätigkeit.
Der Umsatz von Werkstätten setzt sich zusammen aus den Vergütungen, die Werkstätten für die Erbringung der Leistungen für die Menschen mit Behinderungen vom zuständigen Leistungsträger erhalten und dem Umsatz der wirtschaftlichen Tätigkeit der Werkstätten.


Im Jahr 2018 haben alle Werkstätten in der Summe 5,1 Milliarden Euro Vergütungen von der Eingliederungshilfe erhalten. Die Vergütungen sind deckungsgleich mit den anfallenden Kosten in den Werkstätten. Hier wird zwischen Personal- und Sachkosten unterschieden.   
Die Differenz zwischen dem Gesamtumsatz der Werkstätten und den Vergütungen bildet die Umsätze der wirtschaftlichen Tätigkeit der Werkstätten.
Von diesen Umsätzen (denen der wirtschaftlichen Tätigkeit) werden die Kosten, die auch in einem Wirtschaftsunternehmen üblicherweise bei der Produktion oder der Erbringung von Dienstleistungen entstehen, abgezogen. Übrig bleibt das sogenannte Arbeitsergebnis. Mindestens 70 Prozent des Arbeitsergebnisses müssen zur Zahlung der Arbeitsentgelte der Werkstattbeschäftigten verwendet werden.
Auch gibt es die Vorgabe eine sogenannte Ertragsschwankungsrücklage zur Zahlung der Arbeitsentgelte für sechs Monate sowie Ersatz- und Modernisierungsinvestitionsrücklagen zu bilden.

Der BAG WfbM liegen keine detaillierten Informationen über die Auftraggeber/wirtschaftlichen Kooperationspartner einzelner Werkstätten vor. Die Auftraggeber/wirtschaftlichen Kooperationspartner legen an Werkstätten die gleichen Standards an, wie an andere Unternehmen/Zulieferer, mit denen sie zusammenarbeiten. Dies umfasst sowohl die preisliche Gestaltung des Auftrages als auch die unternehmensüblichen Vorgaben zu Qualitätsmanagement, Arbeitsschutz, die allgemeine Einhaltung gesetzlicher Vorgaben etc. Wie hoch der jährliche Umsatz der Unternehmen ist, die mit Werkstätten kooperieren, ist der BAG WfbM nicht bekannt.

Werkstätten sind in zahlreichen Bereichen wirtschaftlich tätig zum Beispiel in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), in der Gastronomie und beim Catering, in der Wäscherei oder im Einzelhandel, bei Montagearbeiten, bei gemeindenahen Dienstleistungen wie Garten- und Landschaftsbau oder auch in Produktion und Verkauf von Eigenprodukten. Vielfach wird die Werkstattleistung im direkten arbeitsweltlichen Kontext von Betrieben, Geschäften oder Gastronomien erbracht. Davon profitieren derzeit ca. 20.000 Werkstattbeschäftigte auf ausgelagerten Arbeitsplätzen. Die Werkstattlandschaft in Deutschland ist heterogen; jeder Mensch mit Behinderungen findet die für ihn und seine Ansprüche passende Tätigkeit in der Werkstatt.

Werkstätten sind Non-Profit-Organisationen. Sie verfolgen keine wirtschaftlichen Gewinnziele. Sie sind gemeinnützig und erbringen im Auftrag des Staates Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß den gesetzlichen Vorgaben. Die Werkstattleistung ist ein Angebot an vollerwerbsgeminderte Menschen mit Behinderungen, dass sie in Anspruch nehmen können, aber nicht müssen.

Thema Arbeitsmarkt: 
Immer wieder wird behauptet, dass es die Hauptaufgabe der Werkstatt sei, Übergänge der Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu realisieren. In diesem Zusammenhang wird in der Regel auf eine Vermittlungsquote von weniger als 1 Prozent verwiesen und die Sinnhaftigkeit der Werkstätten infrage gestellt.
Die BAG WfbM dazu: Es gibt keine offizielle aktuelle Quote der Übergänge aus Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. 
Der Wechsel aus der Werkstatt auf den Arbeitsmarkt ist in der Tat selten. Das ist damit zu erklären: In der Werkstatt arbeiten per Definition Menschen, die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten können, die also dauerhaft eine volle Erwerbsminderung haben. Im Unterschied zu beruflichen Reha-Einrichtungen, die zeitlich befristet Menschen rehabilitieren oder unterstützte Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen anbieten, ist die Werkstatt in aller Regel auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Die Arbeits- und Rehabilitationsleistung der Werkstatt zielt auf Erhalt oder Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Persönlichkeitsentwicklung hin, nicht für alle Beschäftigten auf das Erreichen der Erwerbsfähigkeit. Dies ist nur für einen bestimmten/kleinen Personenkreis möglich.

Klar ist aber auch: der Arbeitsmarkt, die Gesellschaft, der Staat und auch die Werkstätten müssen noch konsequenter gemeinsam daran arbeiten, Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen. Damit Inklusion gelingt, bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens. Ein Verband wie die BAG WfbM kann die berufliche Teilhabe nur gemeinschaftlich vorantreiben. Jeder Einzelne, auch im Unternehmen, ist gefragt.
Werkstätten leisten sehr viel mehr, als „nur“ den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Übergänge zu realisieren ist nicht die Hauptaufgabe der Werkstätten. Die Aufgaben der Werkstätten und damit ihre Leistungen sind vielfältig: berufliche Bildung, Persönlichkeitsentwicklung, Erhalt und idealerweise Ausbau der Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der Menschen mit Behinderungen, um nur einige zu nennen. 


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